Öde Orte, Bäume und Müll

Finn Larsen neueste Publikation Topografi ist ein dreiteiliges Buchset, das in einem großen Briefumschlag aus Kraftpapier ausgeliefert wird. Die drei ähnlich gestalteten, auch einzeln erhältlichen Bände ersetzen beinahe eine Monographie zum Werk dieses hierzulande bislang eher unbekannten dänische Fotografen (* 1956). Der erste Band bringt ältere Bilder und handelt von Larsens Blick auf die dänische Stadt Randers, wobei ihn dort nur die ehemaligen Neubaugebiete interessierten: Bungalows, reichlich Abstands- und Begrenzungsgrün, Wäschestangen, Lampen und dergleichen. Gesichtslos, anonym, ungeschlacht. Das könnte überall fotografiert worden sein, der Fotograf hat aber alles in dieser Kleinstadt gefunden. Wo ist die städtebauliche Kultur, wo die skandinavische Leichtigkeit geblieben? Die Sequenzierung ist gelungen, denn es gibt immer wieder Details zu entdecken, die beim Sprung von einem Bild zum nächsten helfen.

Für die Motive im zweiten und dritten Band wechselte Larsen nach Grönland. Er war dort schon etliche Male und fand dort ähnliche, wenn auch weiträumigere Strukturen wie in den Neubaugebieten seines Heimatlandes. Noch stärker als in Randers fokussierte sich Larsen auf die erstaunlich grüne Vegetation, Grönland eben. Aber wo ist das ewige Eis, warum kann uns der Fotograf soviele Bäume und Büsche zeigen, die zwischen den Einfamilienhäusern wachsen? Zuweilen sind sogar kleine Gärten und Veranden zu erkennen, was ist da los? Der dritte Band ist in seinem Sujet bei aller Eindeutigkeit noch irritierender, denn das Buch ist grönländischen Müllkippen gewidmet. Die Fotos zeigen diese unvermeidlichen Relikte des modernen Lebens, nur eben in einer Umgebung, in der man das nicht erwarten würde. Aber wo sollen die Relikte des „Wohlstands“ hin, wenn man auf einer großen, dünn besiedelten und ziemlich abgelegenen Insel lebt?

Larsens Arbeit steht in der Tradition der kritischen Landschafts- und Architekturfotografie der New Topographics. Die farbigen, fast immer bei Sonnenschein, klarer Sicht und blauem Himmel aufgenommenen Bilder wirken in ihrer Masse und ihrer Zusammenstellung ernüchternd. Der Individualismus des modernen Lebens ergibt bei Larsen auf den ersten Blick banal wirkende Szenen, die in Buchform eine große Wucht entfalten. So sieht der Fortschritt aus! Larsens Talent als lakonischer Erzähler wird durch die Buchgestaltung unterstützt. Die Texte sind jeweils in der Mitte des Buchblocks zu finden. Die Schutzumschläge sind auf der Rückseite mit passenden Kleinbildern aus den Serien bzw. bei Orpik (Band 2) mit teils über 100 Jahre alten Schwarzweißfotos von Jette Bang und anderen über das damals karge Leben (aber mit Haustieren: Schafe, Kühe, Pferde!) in Grönland bedruckt. Der Einband von Hække og Stativer (Band 1) ist mit einem Millimeterpapier-Raster versehen, die Bilder für den Randers-Band sind meist etwas größer und großzügiger wiedergegeben. Die drei Bände der Topografi wirken als Einheit und lassen den Leser frösteln: Grönland ist weit weg, aber die Kälte des modernen Anthropozentrismus hat auch die Gletscherinsel längst erfasst.