Außer Balance ist die Welt durch Kriege, Umweltprobleme, Inflation und machthungrigen Starrsinn geraten. Das international aufgestellte Fotobuchfestival Photobookweek in Aarhus hatte dies zum Oberthema gewählt und bot dazu neben den traditionellen Programmbestandteilen unter dem Begriff „Off Balance“ entsprechende Vorträge und Ausstellungen.
Absoluter Höhepunkt waren Vortrag und Ausstellung von Kateryna Radchenko über ukrainische Fotobücher, die nach dem „Maidan“ 2014 erschienen sind. Die Referentin hatte eine tagelange Anreise mit schwerem Gepäck nicht gescheut, um in Aarhus eine umfangreiche Ausstellung mit entsprechenden Beispielen zeigen zu können. In ihrem Vortrag ging sie auf die Lage für die Fotografen, Verleger und Druckereien in der Ukraine ein und zeichnete ein wenig erfreuliches Bild. So konnte sie die im Vortrag gezeigten Publikationen nicht mitbringen, weil diese nirgendwo mehr zu bekommen bzw. die Autorinnen und Autoren nicht erreichbar waren. Radchenko gehört zu den Mitherausgebern einer in großer Auflage gedruckten Illustrierte The Information Front mit Fotos ukrainischen Fotografinnen und Fotografen zum russischen Angriff auf ihr Land. Das Zeitschriftenprojekt soll für visuelle Informationen sorgen und die dortige Fotoszene unterstützen; eine zweite Ausgabe ist in Arbeit.
Ein zweiter Beitrag zu „Off Balance“ war ein Blick auf Fotobücher über die Alpen mit besonderer Berücksichtigung von Walter Niedermayr – das Schwinden der Gletscher und des Schnees in den touristisch durchstrukturierten Regionen ist nicht zuletzt beim vergleichenden Blick in Fotobücher von damals und heute erkennbar. Edward Burtynskys kritische, in großformatigen Büchern erschienene Dokumentationen über Öl, Wasser, Steinbrüche und andere das Verhältnis von Mensch und Umwelt betreffenden Themen waren Teil des Länderschwerpunkts Kanada und wurde von der Vorführung von Burtynskys, tief beeindruckenden Film Anthropocene abgerundet.
Neben zeitgenössischen kanadischen Fotobüchern, vorgestellt von Louis Perreault, wurden noch Aspekte der Fotobuchkultur Neuseelands per Zoomschaltung vom anderen Ende des Erdballs vermittelt. Weitere Programmpunkte waren u.a. eine Ausstellung von Chen Zhe in der Galleri Image und ein Blick in das auch Fotobücher umfassende Werk der dänischen Konzeptkünstlerin und Fotografin Nanna Debois Buhl. Die diesjährige Exkursion nach Herning bot nicht nur die Gelegenheit, die beiden aktuellen Ausstellungen im Museum Heart anzusehen, sondern auch eine kleine Präsentation von Multiples zur NO!art, einer Kunstrichtung, die der etablierten Moderne Anfang der 1960er-Jahre eine subversive Position entgegensetzte. Erstmals erschien zur Vertiefung und Erläuterung dieses auf den ersten Blick nicht mit Fotobüchern in Verbindung stehenden Schwerpunkts ein handliches, wunderschön produziertes Katalogbuch, das auch zu anderen Programmpunkten der PWA Informationen bot.
Unentschlossen konzipiert war unter diesen die Möglichkeit, das Thema „Bücher über Fotobücher“ für das Publikum über einen ersten Eindruck vor allem über die große Menge der bisher erschienenen Bücher hinaus nutzbar zu machen. Zwar waren die meisten der wichtigen Publikationen einschließlich einiger Werke über das Machen von Fotobüchern als Ausstellung versammelt, aber es fehlte eine Sortierung und eine wertende Einordnung der doch sehr unterschiedlich zwischen Faltblatt und Foliant variierenden Beiträge zu diesem recht jungen Genre fotohistorischer Literatur. Für die 10. Ausgabe der Photobookweek soll das Thema daher nochmals aufgegriffen werden und vielleicht mit einer über das traditionell kleine Aarhuser Publikum hinauswirkenden Drucksache vertieft werden.
Die Photobookweek war einschließlich des abschließenden Büchermarkts gut besucht, bot reichlich Gelegenheiten zu Gesprächen und Diskussionen und war wie immer vom Enthusiasmus und der Freundlichkeit der Kuratoren und des Organisationsteams getragen. Man darf sich schon jetzt auf die Jubiläumsausgabe im nächsten Jahr freuen!
Fotos: Ruth Lahrmann (2), Thomas Wiegand