Ruhrchemie im Lichtbild

Ein Buch zur fotografischen Hinterlassenschaft eines Großbetriebes

Stoffwechsel_Cover

Stoffwechsel stellt vor allem Bilder vor, die prominente Fotografen im Auftrag der Ruhrchemie AG (Oberhausen) gemacht hatten: zuerst Albert Renger-Patzsch, der dort spätestens 1937 tätig war. Seine Arbeiten werden mit einer üppigen Bildstrecke einschließlich einer bemerkenswerten Ausklapptafel präsentiert. Auch Robert Häusser ist mit einer umfangreicheren Serie vertreten. Es sind aber auch andere Konvolute beispielsweise von Karl Hugo Schmölz, Ludwig Windstoßer, Rudolf Holtappel oder Joachim Schumacher zu sehen und selbst Bernd und Hilla Becher sind mit einem ihrer unverkennbaren Kühltürme dabei. Dazu gibt es knappe Informationen zu den Fotografen bzw. zu den Sujets und am Ende eine kurze Darstellung der Firmengeschichte. Das Buch erschien zu einer Ausstellung mit zwei Stationen in Oberhausen, die sich aus Fotos speist, die sich aufgrund bestimmter Umstände, die im Vorwort geschildert werden (S. 17f.), in öffentlichem Besitz befinden und nicht im Firmenarchiv. Dass der heute unter dem Namen OXEA agierende Chemieproduzent das Gesamtprojekt gefördert hat, ist, nicht zuletzt als nachhaltiges Marketinginstrument, sehr zu begrüßen.

Stoffwechsel_1

Stoffwechsel_3

Stoffwechsel_4

Für Ausstellung und Buch wurden aus dem im LVR-Industriemuseum in Oberhausen lagernden Ruhrchemie-Bestand eindrucksvolle Bilder ausgewählt und nach bestimmten Themen (Industrielandschaften, Architekturen/Prozesse/Produkte, Mitarbeiter/Arbeitsplätze, Auslandsaktivitäten/Besuche, Freizeit/Soziales, Ereignisse) zusammengestellt. Die Themenpalette erinnert, bis auf die ambivalente Rubrik „Ereignisse“ (von Jubiläen bis Katastrophen), an die Gliederung typischer Festschriften, die Höhepunkte der Unternehmenskommunikation darstell(t)en. Solche gab es auch für die Ruhrchemie, allerdings erfährt man darüber im Band Stoffwechsel nichts und über die Nutzungsgeschichte der beauftragten Fotos nur wenig. Warum eigentlich war es wichtig, einen schon damals berühmten Mann wie Albert Renger-Patzsch zu beschäftigen, dessen Arbeiten nicht nur für die „Dokumentation“ dienstbar gemacht werden konnten, sondern „jetzt auch“ für die „Repräsentation“ (S. 20)? Die Ruhrchemie AG verwendete Renger-Patzschs Bilder seinerzeit eher selten für externe Publikationen, dafür aber „immer wieder“ in der internen Werkszeitschrift, jedoch ohne Nennung des Urhebers (S. 22f.). Erwähnung fand ein 1938 in Kleinstauflage produziertes Album mit 33 Aufnahmen von Renger-Patzsch. Diese werden in Stoffwechsel in der originalen Reihenfolge abgedruckt (S. 112ff.); das Album selbst wird beschrieben, aber nicht gezeigt. Lässt es nicht aufhorchen, dass im ehemaligen Bestand der Firma ein Exemplar, aber im Nachlass des Fotografen deren zwei erhalten blieben (S. 27, Anm. 7)?

Der Stoffwechsel-Band ist wegen der bislang unbekannten Serie über die Ruhrchemie AG vor allem ein Muss für die Freunde von Renger-Patzschs Industriefotografie. Die Nutzungs- und Publikationsgeschichte der präsentierten Bilder bliebe noch nachzutragen.

 

Aufnahme von Robert Häusser links im Katalog Stoffwechsel, rechts in der Festschrift von 1977

Aufnahme von Robert Häusser links im Katalog Stoffwechsel, rechts in der Festschrift von 1978

Ruhrchemie-Festschriften 1953 und 1977

Ruhrchemie-Festschriften 1953 und 1978

Zwei Anmerkungen zu Details seien mir noch gestattet.

1. Eine Andeutung zur Bedeutung der Chemiebranche für die Werksfotografie in der NS-Zeit macht Rolf Sachsse in seinem Beitrag in Bezug auf Paul Wolff, der allerdings, jedenfalls nach Maßgabe des Firmenverzeichnisses in dessen Propagandaband Arbeit! (1937), die Werke der Ruhrchemie AG nicht aufgesucht hatte. Freilich war Wolffs Partner Alfred Tritschler nach dem Krieg dort, wie ein Schwarzweißbild vom Anfang der 50er-Jahre in Stoffwechsel zeigt (S. 42). Und die Firma ließ das von Heinrich Hauser verfasste und von Tritschler fotografierte Wiederaufbau-Dokument Unser Schicksal – Die deutsche Industrie (1952) im folgenden Jahr von beiden Autoren um 28 Seiten inkl. vier Farbtafeln erweitern und mit dem Titelzusatz Und ein Rückblick auf 25 Jahre Ruhrchemie fortdrucken. Sicherlich kein Juwel unter den Firmenschriften, aber in diesem Zusammenhang erwähnenswert.

2. Rolf Sachsse zaubert auf Seite 82 ohne Not und ohne Nachweis eine in der gewählten Formulierung fragwürdige Information aus dem Hut. Er schreibt, dass der Band Arbeit! (von Wolff/Ehrhardt, 1937) „nur als Geschenk der Sozialversicherungsträger zu erhalten war.“ Das Buch war jedoch für 12,50 Reichsmark in jeder Buchhandlung zu bekommen, es wurde mehrfach rezensiert, es gab einen werbenden Prospekt und die Beilage der technischen Aufnahmedaten sollte die Fotografen im Sinne von Paul Wolffs Berufung als Freund und Ratgeber vor allem der Leica-Nutzer ansprechen. Arbeit! war ein Propagandawerk, das seinen Platz im Rahmen des Vierjahresplanes der Nationalsozialisten hatte (für das die Ruhrchemie AG 1939 Fotos von Renger-Patzsch einsetzte, S. 23). Das mag freilich nicht ausschließen, dass auch eine Teilauflage von Arbeit! über den Berliner Volk und Reich Verlag als „Geschenk“ in Umlauf gekommen sein könnte (zu diesem Verlag und dessen Geschäftspolitik siehe Roland Jaeger in Autopsie, Band I, 2012, S. 440ff., zu Arbeit! speziell S. 449).

Originalpreis in einem Exemplar von Paul Wolffs Buch Arbeit! (1937)

Originalpreis in einem Exemplar von Paul Wolffs Buch Arbeit! (1937)

 

  • Titel: Stoffwechsel
  • Untertitel: Die Ruhrchemie in der Fotografie
  • Bildautor: Albert Renger-Patzsch, Robert Häusser und andere
  • Textautor: Rainer Schlautmann, Rolf Sachsse, Manfred Rasch/Guido Frey, Sarah Hülsewig sowie diverse Vorwortautoren
  • Herausgeber: LVR-Industriemuseum und Ludwiggalerie Schloss Oberhausen
  • Gestalter: Kommunikationskontor Düsseldorf
  • Verlag: Kettler Verlag
  • Verlagsort: Dortmund
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 290
  • Bindung: Illustriertes Hardcover
  • Preis: 38 Euro
  • ISBN: 978-3-86206-710-7

Kommentarfunktion geschlossen.