Details aus der Düsteren Straße

Gerhard Steidl und Günter Grass hatten eine symbiotische Arbeitsbeziehung, die sich über den Tod des Nobelpreisträgers hinaus insofern fortsetzt, als dass der Verleger dafür sorgte, dass eine Stiftung in Göttingen den sich auf diese Zusammenarbeit beziehenden Nachlass von Steidls wichtigstem Autoren übernehmen und bewahren konnte. Das unscheinbare Fachwerkhaus Düstere Straße 6 nebenan von Steidls Hauptquartier in Göttingen stammt im Kern von etwa 1310 und zählt damit zu den ältesten seiner Art in Deutschland. Nach der Restaurierung wurde aus dem kleinen Haus der offizielle Sitz der „Günter Grass Archiv Göttingen Stiftung“.

Robert Polidori (* 1951) ist ein weiterer berühmter Autor von Steidl, kein Schriftsteller, sondern Fotograf, der sich schon mehrfach mit Fragen von Zerstörung, Erhalt und Restaurierung von Architektur beschäftigt hatte; das Themenspektrum reicht von Versailles bis Tschernobyl. Das kleine Fachwerkhäuschen in Göttingen reizte den kanadischen Fotografen zu Detailstudien der während der Sanierung freiliegenden Wände, deren Texturen aus Holz, Lehm, Steinen, Tapetenfragmenten Zeitschichten offenbaren, die von der Bauzeit bis zu den Eingriffen der Restauratoren reichen. Polidori zeigt dabei manche Motive zwei- oder dreifach in unterschiedlich engen Ausschnitten, was unentschlossen wirkt. Die im Original eher braun-graue, erdige Farbigkeit der Gefache und Balken hat der Fotograf durch Computermanipulationen am digitalisierten Großformatnegativ verändert, zum Beispiel mit einer Art Blaustich versehen. Dadurch gibt es kräftigere Kontraste und die Strukturen treten deutlicher zutage; Polidori schreibt im Nachwort, dass man manchmal etwas lügen müsse, um die Wahrheit zu zeigen…

Die im Haus Düstere Straße 6 gefundenen Bilder sind auch ohne den Grass-Steidl-Hintergrund als abstrakte Kompositionen ein Erlebnis. Das große Buchformat und die Wiedergabe auf ein angenehm mattes Papier tun das Übrige, dem uralten, jetzt revitalisierten Gebäude in einer ästhetisch außergewöhnlichen, freilich für die Denkmalpflege ungeeigneter Weise ein Denkmal zu setzen.