Schön und schrecklich

Der Yangtze/Jangtse ist ein Fluss in China, der drittlängste der Erde. Der aus Israel stammende Künstler Nadav Kander reiste 2006 und 2007 mehrfach dorthin, um den Strom fotografieren. Denn jener ist ein Symbol für den mit dem Wachstum verbundenen Wandel Chinas. Es werden Brücken gebaut, die Abwässer der am Ufer wuchernden Städte vergiften das Wasser, der Drei-Schluchten-Staudamm ist Segen und Fluch zugleich. Das Sujet ist komplex, bietet sich für Zivilisationskritik und eine Geißelung des Fortschrittsglaubens an und hält zudem alle Möglichkeiten offen, der Landschaftsfotografie neues Leben einzuhauchen. Die Farben sind selbst bei Sonne gedämpft, sei es, weil der Fotograf eine entsprechende Wetterlage abgewartet hat oder er durch den Smog gar nicht anders konnte. Souverän fand Kander eine eigenwillige und angemessene Bildsprache, um seine Serie in der Schwebe zu halten: er geißelt die Umweltzerstörung nicht in plakativer Drastik, stellt aber auch keine in ihrer Exotik atemberaubenden Szenarien vor. Allein die gestalterische Qualität der Fotos, ihre delikate, filigran mit Grautönen und oft mit einzelnen bunten Tupfen spielende Farbigkeit, ihre verblüffenden Repoussoirs und Maßstabsfiguren wirken für sich. Das daraus entstandene Buch schließt das Projekt in einer Form ab, die tief im 19. Jahrhundert wurzelt, nämlich als Bericht von einer „Grand Tour“, einer Bildungsreise zur Erweiterung des Horizontes. Nur heute fährt man dazu nicht mehr nach Rom oder Griechenland, sondern nach China. Das Gestaltung des Werks unterstützt diese Tendenz. Auf den Textseiten mit ihrem grauen Fond sind Informationen über den Fluss und jedes Foto zu finden. Dazwischen liegt die Bildstrecke mit 76 Tafeln, die einer Ordnung von der Mündung zur Quelle des Flusses folgt. Auf jeder Doppelseite wird immer nur ein Bild gezeigt, was hier nicht der Einfallslosigkeit der Layouter geschuldet ist, sondern unabdingbar war, um jedes Motiv zu optimaler Wirkung zu verhelfen und den Blick zu konzentrieren. Die Ambivalenz des Gesamtwerks als Ausdruck des schönen Schreckens macht seine hohe, inzwischen zu Recht preisgekrönte Qualität aus.