Zum Beispiel: eine russische Bruchbude

Andrej Krementschouks Reflexion über Leben und Vergehen

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Das zweite Buch von Krementschouk verblüfft beim Auspacken aus der Folie. Zum einen riecht die Graupappe des Einbands etwas streng (was vergeht), zum anderen offenbaren sich die inneren Werte sofort und ohne Vorsatz oder Titel: Man schlägt es auf und ist direkt mit dem ersten, randlosen Bild konfrontiert. Denn der Buchblock ist als fragil und empfindlich wirkende, tatsächlich aber strapazierfähige, weil fadengeheftete Freirückenbroschur in den festen, als schützende Hülle konzipierten dicken Einband eingeklebt. Auf dem außen montierten Titelbild sieht man ein Holzhaus im Schnee, auf dem Bild auf der Rückseite das selbe Motiv, nur ein paar Jahre später als Brandruine.

Was ist passiert? Krementschouk dokumentierte in den Jahren 2006 und 2007 das Treiben, das sich in einer Datscha irgendwo in Russland abspielte. Der vom Fotografen selbst stammende Text erläutert, wie er den Zugang dort fand und was er dort erlebte. Die Bilder erinnert an Anders Petersens „Cafe Lehmitz“ oder an die frühen Arbeiten von Richard Billingham und Nick Waplington. Man weiß sofort, dass das Gezeigte eine Episode ist, denn der Brand zerstörte dieses Refugium. Krementschouk bedauert, sich die Namen der Dargestellten nicht gemerkt zu haben. Aus Neugier und Distanz speist sich dieses Denkmal für ein paar Feiernde in einer russischen Bruchbude. Ob Krementschouk Voyeur war oder die anonymen Protagonisten eine Aufführung lieferten, die geradezu nach dem Fotografen verlangte, spielt eigentlich keine Rolle. Eine Detailaufnahme zeigt ein fleckiges Kodak-Werbeposter als Idylle mit Kind, Hund und Schnee. Die eine Inszenierung klebt an der Wand, die andere spielt sich auf der engen Bühne davor ab.

Am Ende, nach dem Textteil und auf das gleiche raue Papier gedruckt, folgen noch ein paar Erinnerungsfotos von der von Grün überwucherten Brandstätte. Das letzte Bild ist auf dem lose beigelegten Index zu finden. Eine neu errichte Blockhauswand erhebt sich am Rande eines vermüllten Platzes. Ist das die Stelle, wo das Haus abgebrannt ist? Wird es an dieser Stelle mit einem Neubau weitergehen? Dass diese und andere Fragen mehr oder wenig offen bleiben, ist die eine Stärke dieses fotografischen Epos über das Leben und Vergehen einerseits und die Grenzen der Fotografie andererseits. Die zweite Stärke ist, dass die Gestalter eine kongeniale Form dafür gefunden haben. Sage nur einer, dass Thema Fotobuch sei ausgereizt – nein, wie der Phönix aus der Asche erheben sich Bücher wie diese, die zeigen, dass ein „richtiges“ Fotobuch dann doch mehr vermag als einfach nur ein paar Bilder in einem Umschlag zusammenzuhalten. Ein Rätsel allein bleibt, warum das Buch für den „Deutschen Fotobuchpreis 2011“ nur nominiert, aber nicht mit einem Preis ausgezeichnet wurde.

  • Titel: Come bury me
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Andrej Krementschouk
  • Textautor: Andrej Krementschouk
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Kehrer
  • Verlagsort: Heidelberg
  • Erscheinungsjahr: 2010
  • Sprache: englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 
  • Bindung: „Schweizer Broschur mit offener Fadenheftung“
  • Preis: 36 Euro
  • ISBN: 978-3-86828-120-0

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