Schwarzfahren mit unbekleideten Damen

Offener Brief an Werner Lieberknecht

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Sehr geehrter Herr Lieberknecht, offen gestanden verstehe ich Ihr neues Buch nicht oder nicht richtig. Sie zeigen darin öde Orte und nackte Frauen. Man könnte denken, dass diese mit jenen etwas miteinander zu tun hatten.

Sie waren immer mit dabei, in Antwerpen, Berlin, Kamenz und Rotterdam bei Susi, Steffi und Silvia. Wären dann die Aktaufnahmen Reminiszenzen an die Orte und die Orte erinnern an Erlebnisse mit den Frauen? Ein darin enthaltener Text in Form eines Gedichtes ist hauptsächlich Möbeln gewidmet, Möbel, wie sie auch als Kulisse der Aktaufnahmen auftauchen.

Das wunderbar gestaltete, gedruckte und gebundene Buch empfinde ich ungeachtet einiger Symbolkeulen (Kaktus!, Schlange! Avocado! Kondensstreifen!) weder als ironisch noch erotisch, weder als kritisch noch poetisch. Sondern es scheint mir sehr ernst und sperrig und ich frage mich also, was das Eine – Akte – mit dem Anderen – urbane Landschaften – unter besonderer Berücksichtung von Mobiliar und dem Titel „Schwarzfahrer“ (noch schöner die englische Übersetzung „Joy-rides“) zu tun haben mag. Das Cover deutet an, dass es irgendwie um Verkehr gehen könnte, eine verwischte Leitplanke bei Nacht spricht dafür. Die seltsamen Interieurs, Autoinnenräume, auch Wohnwagen und die zeigefreudigen Damen geben dem Verdacht weitere Nahrung, wenn auch in einer anderen Richtung. Aber vielleicht führt diese Verkehrsspur ja gehörig in die Irre, Reisen ja, aber nicht als Sozialstudie über europäische Prostitution am Straßenrand. Das Buch könnte man ohne ergänzende Informationen ohne Weiteres auch als erotische Trophäensammlung interpretieren, mit ein paar Dokumentarfotos zu einem Kunstprojekt erhöht wie weiland die dreiteilige Ausstellungsserie „Akt und Landschaft“ (Potsdam 1982, 1985, 1988) oder andere derartige Unternehmungen. Das Buch bringt mich also zum Nachdenken darüber, was die Nackten mit der urbanen Ödnis zu schaffen hatten und was Ihre Rolle in diesem Foto-Spiel war.

Aber vielleicht liegt der Schlüssel zum Verständnis Ihres Werkes ganz wo anders und es ist alles gar nicht so wie vermutet. Denn bei genauer Betrachtung findet man immer wieder formale Analogien zwischen denjenigen topografisch-architektonischen und figürlichen Fotos, die sich auf den Doppelseiten gegenüberstehen. Oft betrifft das nur winzige Details, man muss also sehr genau hinsehen. Aber sollte das schon alles gewesen sein?

Es grüßt aus Kassel Thomas Wiegand

 

  • Titel: Schwarzfahrten – Joy-rides
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Werner Lieberknecht
  • Textautor: Marcel Beyer
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Olaf Schumann
  • Verlag: ex pose
  • Verlagsort: Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 96
  • Bindung: flexibles Hardcover
  • Preis: 29,80 Euro
  • ISBN: 978-3-925935-65-7

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