Im Jahr 2008 brachen Politiker und Ökonomen zu einer Rundreise durch vier südeuropäische Staaten auf. Aber nicht, um sich an den Kulturgütern zu delektieren. Sie kamen, um einen radikalen Reform- und Sparkurs einzuleiten. Was war geschehen? Noch kurze Zeit zuvor wurden die Portugiesen um ihre florierende Textilindustrie beneidet, nun produzierten osteuropäische EU-Staaten billiger, das Land geriet in Schieflage. Auch die Spanier wurden unsanft aus ihrem Wirtschaftswundertraum geweckt. Die Regierung hatte auf eine ungesund florierende Bauwirtschaft gesetzt, dann platzte die Immobilienblase. Griechenland war längst für seinen Schuldenberg bekannt, als es zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise kam. Einzig Italien gelang es, sich allein durch eine schlechte Haushaltsführung in die Misere zu bringen.
Die Eurokrise ist kein Sujet, aus dem sich leichthändig eine fotografische Erzählung formen lässt. Wie bekommt man das abstrakte Thema in den Griff? Der Fotograf Carlos Spottorno führt es mit seinem Journal The Pigs glänzend vor. Es ist kein moralischer Fotoessay daraus geworden, sondern eine subtile Satire. Im Blick hat der Spanier dabei die abwertende und tendenziöse Berichterstattung über die Krisenstaaten. So schreckten auch hiesige Qualitätsmedien nicht davor zurück, das Akronym „PIGS” für die krisengeschüttelten Länder zu verwenden. Die „Schweinestaaten” selbst – Portugal, Italien, Griechenland und Spanien – verbaten sich das, vergebens.
Wenn Redakteure des britischen Magazins The Economist ein Sonderheft zu den Krisenstaaten basteln würden, wie sähe es aus? Spottorno spielte es schon mal durch. Er bereiste die Länder, simulierte den Blick eines neoliberalen Ökonomen, schoss Fotos. Und jedes Klischee wird dabei bedient. Viel Urlaub, früh in Rente gehen, nicht gerade fleißig und Jahrzehnte über die Verhältnisse gelebt: So sind sie, die Südeuropäer. Bauruinen, verfallene Altstädte, Containersiedlungen, Verelendung: Das kommt dabei heraus.
Spottorno war Leiter einer Werbeabteilung, bevor er 2001 ins Fotografenfach wechselte. Der 43-Jährige, der bislang nicht zu politischen Themen gearbeitet hat, legt mit The Pigs ein erstaunlich reifes Werk vor: Das Konzept ist klug, die Erzählweise stringent, die Fotos sind ausdrucksstark. Layout, Format und Papier sind, auch das ist ein genialer Kunstgriff, dem originären The Economist nachempfunden.
Warum es mitunter klug ist, den Mainstream-Journalismus kritisch zu hinterfragen und eine eigene Haltung zu entwickeln: Von Carlos Spottorno kann man genau das lernen. Aber sieht er sich selbst als Ehrenretter der gestrauchelten Südeuropäer? Nicht ganz, er ist viel zu reflektiert, um diese ungeschoren davonkommen zu lassen. Seine Kritik liest sich so: „People have turned their backs on the political class, from which they don´t expect much, if at all, and seek to improve their wellbeing exclusively from a personal standpoint; an attitude that constitutes both an evolutionary advantage for survival, and a factor hindering social progress.”
- Titel: The Pigs
- Untertitel:
- Bildautor: Carlos Spottorno
- Textautor: Carlos Spottorno
- Herausgeber:
- Gestalter: Carlos Spottorno, Jaime Narváez; Illustrator: Ata
- Verlag: Phree und Editorial RM
- Verlagsort: Madrid, Barcelona
- Erscheinungsjahr: 2013
- Sprache: englisch, spanisch
- Format:
- Seitenzahl: 112
- Bindung: Softcover Journal
- Preis: 9,99 Euro
- ISBN: Phree 978-84-941215-5-5; RM 978-84-15118-62-6