Versprechen auf mehr

Rund 70 unbelichtete Filme von Evelyn Richter wurden 2013 in ihrem Haus entdeckt. Die Fotografin, sie ist mittlerweile 88 Jahre alt, konnte sie nicht mehr entwickeln.

Das ergibt unterm Strich zwischen 1500 und 2500 Bilder. Was für ein Konvolut, Qual der Wahl!

Mancher Verlag würde aus einem solchen Schatz sofort einen riesigen Band mit großformatigen Abbildungen zusammenstellen. Nicht mehr als 34 Fotografien aus dieser späten Sammlung enthält jedoch das vorliegende schmale, kleinformatige Büchelchen. Dieses Substrat, Katalog im Dresdner Ausstellungsraum bautzner69 (Januar bis März 2018) und im Kunstverein ihrer Geburtsstadt Bautzen (Juli/August 2018), kann damit gewissermaßen auch als Statement im Zeichen der grassierenden Bilderflut gelten. Konzentration auf Wesentliches heißt die Devise. Ob es aber DAS Wesentliche und Typische für Richters Spätwerk ist, wissen wir nicht, wir erhalten ja nur wenige Einblicke.

Der Band enthält überwiegend Reise-Impressionen aus London, New York, Moskau, Venedig, Rumänien seit dem Jahr 2000. Richter erweist sich hier noch immer als die neugierige, scharfe und unkonventionelle Beobachterin ihrer Umwelt, fotografiert Lesende, Menschen in Galerien und Museen, in der U-Bahn, einfache Leute auf dem Land in Rumänien. Schon in der DDR hatte sie sich auf die Darstellung des Menschen in alltäglichen Situationen konzentriert und hierbei vielfach seriell gearbeitet. Bekannt wurde sie mit mehreren Fotobüchern, in denen sie konsequent mit dem Mittel der fotografischen Reportage ein Thema ergründete: zum Beispiel Bücher über den Geigenvirtuosen David Oistrach (1973), den Komponisten Paul Dessau (1974) oder die fotografische Sozialstudie Entwicklungswunder Mensch (1980).

Latenz der Bilder: Dieser verschwindend kleine Teil des Spätwerks von Evelyn Richter und die feine Auswahl bezeugen, dass die Fotografin auch im hohen Alter Außerordentliches leistete. Möglicherweise sind noch nicht alle dieser Filme entwickelt und ausgewertet. Aber Situationen, Zeit, Geschichte, Landschaften, Porträts, Interieurs sind auf ihnen analog gespeichert. Eine kleine Auswahl von Negativstreifen und (umgewandelten) Tif-Dateien auf dem Vorsatz wirkt wie ein Versprechen auf mehr. Vielleicht wird daraus dann doch noch der große Band zum Spätwerk der Fotografin.

Die „klassischen“ Fotobücher von Evelyn Richter