Was machen mit der Bilderflut?

„Auf dem ersten Blick könnte man meinen, dass Olaf Unverzart hier die Bildersammlung eines Weitgereisten präsentiert.“ So beginnt Florian Grosser, der Philosophie lehrt, seinen auf einem Beiblatt abgedruckten und dem Buch beiliegenden Essay zu Walking Distance. Es ist das neueste Werk des Künstlers. Man könnte es nicht nur auf dem ersten Blick meinen, der Eindruck verfestigt sich vielmehr auf dem zweiten. Ich stelle mir vor, wie der Fotograf tausende Bilder von seinen weiten Reisen mit nach Hause bringt, Landschaften, Architekturen, Menschen, Straßen, Plätze, Verkehrssituationen, Posen, eingefrorene Bewegungen, Schnappschüsse, Beobachtetes, Faszinierendes, Belebtes, Totes, Verlassenes. Die Kamera immer im Anschlag, es gibt so viel zu sehen und festzuhalten. Wer fotografiert, ob professionell oder als Laie, kennt das. Was also machen mit der Bilderflut? Antwort: Ein Fotobuch.

Unverzarts Walking Distance ist vielleicht das Substrat aus hunderten (oder tausenden?) Schwarzweißfotos, entstanden zwischen 1992 und 2022. Das erste und letzte Foto dieser Zusammenstellung – verschwommene Schulterblicke eines Mannes (ist es der Künstler selbst?) – bilden die Klammer. Begrüßung des Betrachters und Abschied.

Man muss das Buch querlegen und von unten nach oben blättern. Meist bilden zwei Fotos ein Tableau, bisweilen sind doppelseitige Hochformate eingefügt. Jeder Druckbogen endet mit einer roten Seite, weitere einzelne Seiten sind weiß bzw. schwarz. Die Fotos trennt ein schwarzer Streifen im Falz. Der Heftfaden ist rot. Es gibt keine inhaltlich logische Bildabfolge, Orte sind nicht erkennbar, ebenso wenig thematische Strukturen. Die Fotos wurden allein durch ihre assoziativen Bezüge zusammengestellt. Nicht selten sind die Ausschnitte sehr eng gewählt. Wesentliches scheint zu fehlen. Wahrscheinlich könnte Unverzart zu fast jedem Foto eine Geschichte erzählen, eine Erinnerung beisteuern. Für uns bleiben die Bilder – einzeln und im Zusammenhang rätselhaft. Das soll vielleicht so sein. Letztlich scheint Walking Distance vor allem den Anspruch zu bekunden, als – wie es immer so schön heißt – „ambitioniertes“ künstlerisches Fotobuch aufzutreten.