Fußball und Fotokunst

Fußballfotobücher von Volker Schrank, Julian Germain und Hans van der Meer

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Die Fußball-Euphorie geht um in Deutschland. So soll es jedenfalls nach dem Willen der Funktionäre und Marketingexperten sein. Die Weltmeisterschaft (2006) beginnt in Kürze und – wie es zum guten Ton zu gehören scheint – sie wird von einem Kulturprogramm gerahmt. André Hellers Eröffnungsspektakel wird entfallen, zu groß die Angst um den heiligen Rasen im Stadion, der eigentlichen Bühne. Fußball und Show gehörten schon immer zusammen. Fußball und Kunst, auch das geht.

Die viel beachtete Ausstellung „Rundleder-Welten“ in Berlin ist zwar vorbei, in Buchform erhalten blieben aber die herrlichen Fußballer-Portraits, die Volker Schrank für diese Ausstellung von den Gewinnern der Weltmeisterschaft 1974 fotografierte. Volker Schrank hat sich auf die Suche nach dem Mythos der Weltmeisterelf von 1974 gemacht. Beckenbauer, Hoeness, Müller, Maier, Vogts, Höttges: Was ist aus ihnen geworden? Würde man die Helden von einst heute noch auf der Straße wiedererkennen? Bei den einen fällt das aufgrund ihrer andauernden Medienpräsenz nicht schwer, bei den anderen kennt man allenfalls noch die Namen. Schrank fotografierte 17 von 22 Weltmeistern 30 Jahre nach ihrem größten Triumph und inszenierte sie in ihrer größten Rolle, als Helden, als Idole: respektvolle Untersicht, selektive Schärfe, Glanz in den Augen.

Fotograf Volker Schrank ist 41, Herausgeber Matthias Bullinger 47 – beide sind alt genug, um die Fußballweltmeisterschaft 1974 als Fans wahrgenommen zu haben. Auf jeden Fall scheinen sie sich ausgiebig mit Fußball-Sammelbildern beschäftigt zu haben. Denn ihr Buch ist mit deutlichen Reminiszenzen an Sammelalben gestaltet. Das Layout greift immer wieder auf leere Rahmen im Sinne eines noch zu füllenden Albums zurück. Für die Bildgestaltung konsequent ausgeblendet wurde der Typus dynamischer Sportlerportraits in Form von Teleaufnahmen laufender, grätschender oder zum Kopfball hochsteigender Fußballer. Vorbei ist vorbei und so herrscht Ruhe und Kontemplation. Für die Inszenierungen wurden die Weltmeister in Trikots im Design von 1974 gesteckt. Vor den pastelligen, unscharfen Farbflächen der Hintergründe wirken die Portraitierten wie ausgeschnitten oder wie freigestellt. Trikots, also Dienstkleidung, und ein verschwommener oder neutraler Hintergrund gehörten mit zu den ästhetischen Standards der damaligen Fußballsammelbilder aus der Wundertüte. Die Texte im Buch kreisen um das Sammeln, über die Darstellung von Fußballhelden und die WM insgesamt. Auf grasgrünen Doppelseiten werden die Spielergebnisse der deutschen Elf dokumentiert. Darunter ist auch der Ausrutscher des 0:1 gegen die DDR; das ostdeutsche Kollektiv allerdings wird keines Bildes gewürdigt. Weltmeister wurde die BRD – wer weiß, ob das auch geschehen wäre, wenn das Spiel gegen die DDR gewonnen worden wäre…

Ein anderes, nicht minder eindrucksvoll und konsequent durchgestyltes Fan-Buch eines Fotografen erschien schon 1994, hieß „In Soccer Wonderland“ und stammt von Julian Germain. Der englische Fotograf versammelte in dem Band nicht nur eigene Fotos, sondern auch Zeitungsausschnitte, Sammelbilder, Eintrittskarten, Trophäen und andere Devotionalien zu einem wilden Mix rund um den Fußballkult. Das Layout ist bunt und wimmelig und die Typografie von nervöser Modernität (Stand: 1994). Zuweilen hilft nur der Blick auf den Bildnachweis, um die Fotos zu identifizieren, die von Germain selbst stammen. Aufgrund der extravaganten Gestaltung ist das Buch inzwischen selbst zum Kultobjekt geworden.

Zurück auf den Platz. Als Fan erwartet man von einem Fußballspiel Unterhaltung, Einsatz, Spannung, Eleganz, technische Kabinettstücke, viele Tore und selbstverständlich Siege der „eigenen“ Mannschaft. Am Bildschirm sieht das in den besten Fällen leicht und locker aus. Auf dem Platz ist das alles nicht so einfach. Wer selbst spielt, weiß das natürlich. Man rennt und rennt und rennt, der Ball ist trotzdem immer woanders und hat man ihn dann, ist das Tor viel zu weit weg oder zu niedrig und das tückische Leder lässt sich ohnehin nie richtig kontrollieren.

Von den Mühen des Amateurfußballs handelt das Buch Dutch Fields, für das Hans van der Meer Fußballspiele in den Niederlanden fotografiert hat. Vor überwiegend leeren Rängen agieren anonyme, auf einer Doppelseite allerdings auch in Ganzkörperportraits vorgestellte Kicker auf schlecht gepflegten Grasnarben, so beim 3:1 zwischen Haastrecht III und Moordrecht IV am 12.11.1995 in Haastrecht oder beim 1:1 zwischen De Fivel II und Paddelpoel II am 14.10.1995 in Zeerijp. Diese nicht wirklich wichtigen Informationen weisen den Band als Hommage an alle wahren Fußballer aus. Die Bilder aber, die van der Meer fotografiert hat, stellen das Werk in die große Tradition der holländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts. Das gleißende Licht der tiefstehenden Sonne, dramatische Wolken oder Nebeldunst, Backsteinkirchen als Point de Vue im Hintergund, Baumreihen, Kanäle und Felder in der weiten Landschaft, die entsättigten Grüntöne der Sportplätze, die oft nicht mehr als eine Staffage abgebenden einsam agierenden Fußballer im sonst menschenleeren Raum – dies alles erinnert mehr an die Kunst eines Ruysdael als an die profane Stereotypenfotografie von den Sportseiten – und es hat Witz.

Was zu beweisen war: Fußball und Fotokunst schließen sich nicht aus. Warten wir ab, ob uns die Weltmeisterschaft noch weitere Beispiele für gelungene Fußballkunstfotobücher bescheren wird. Wir werden uns bemühen, auf Ballhöhe zu bleiben…

 

  • Titel: Gesammelte Helden
  • Untertitel: Die Fußballweltmeister 1974 - und in uns glühen die Erinnerungen
  • Bildautor: Volker Schrank
  • Textautor: Matthias Bullinger
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Edition Braus
  • Verlagsort: Heidelberg
  • Erscheinungsjahr: 2005
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 100
  • Bindung: Hardcover
  • Preis: 29,90 Euro
  • ISBN: 3899041720
  • Titel: In Soccer Wonderland
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Julian Germain
  • Textautor: 
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Booth-Clibborn Editions
  • Verlagsort: London
  • Erscheinungsjahr: 1994
  • Sprache: englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 170
  • Bindung: Hardcover
  • Preis: nur noch antiquarisch erhältlich
  • ISBN: 1873968302
  • Titel: Dutch Fields
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Hans van der Meer
  • Textautor: Jan Mulder
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: De Verbeelding Publishing
  • Verlagsort: Amsterdam
  • Erscheinungsjahr: 2004
  • Sprache: englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 88
  • Bindung: Softcover
  • Preis: ca. 25 Euro
  • ISBN: 9074159710

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