Tage, die waren – Tage, die kommen

Es war abzusehen: Corona wird Spuren in der Fotobuchwelt hinterlassen, wobei hier die Thematisierung der Pandemie mit Mitteln der Fotografie gemeint ist, nicht die gesundheitliche Auswirkung auf Protagonisten oder finanzielle Probleme bei Druckereien, Verlegern und im Handel. Ingmar Björn Nolting (* 1995) hat, passend zum quasi offiziellen Ende der Seuche (die selbstverständlich nicht durch eine Anordnung von Politikern zum Verschwinden gebracht werden kann…) ein Buch vorgelegt, das einen irritierenden Titel trägt: About the days ahead (Über die kommenden Tage). Die Tage der Unsicherheit und der Überreaktion sind vorbei, daher die Frage, wie das mit dem Blick in die Zukunft gemeint ist, wenn man Bilder aus der Vergangenheit zeigt.

Der Fotograf war 2020 und 2021 in Deutschland unterwegs, um sich Bilder von der Lage der Nation zu machen. Die dabei entstandenen Fotos sind mit einem Grauschleier überzogen so wie die Erinnerung an eine Zeit, die man am liebsten vergessen möchte, es aber nicht kann. Der Reigen mit 58 Stationen beginnt mit einem ökomenischen Gottesdienst, den zwei auf Distanz stehende Pfarrer auf einem überdachten Rednerpult vor geparkten Autos halten und endet mit einer Probe zum „zentralen Staatsakt“ zum Gedenken an die Verstorbenen. Dazwischen sind immer wieder Blicke in Krankenzimmer zu sehen, verstohlene Dokumente von vermutlich damals gar nicht erlaubten distanzlosen Freizeitaktivitäten und selbstverständlich Menschen mit Masken: Politiker, Soldaten, Totengräber. Es wird öffentlich gesungen und vom Fenster aus zugehört. Die Fotos von Demonstrierenden sind trotz schwarzrotweißer Reichsflaggen eher skurril; die Leute wirken harmlos, sind es aber nicht. Aber tagesaktuelle Berichterstattung war nicht die Idee von Nolting, sondern anhand von wirklich starken Einzelbildern die Schilderung einer Stimmung zwischen „Wir schaffen das“ und Resignation.

Das Hardcover bekam eine innenliegende Bindung mit offenem Rücken, damit sich die Querformate ansehen lassen, ohne dass ein Teil der Motive im Bund verschwinden. Der Einband wurde aus einer glatten, matten Pappe gefertigt; auf der Vorderseite ist ein Foto eines Mannes in voller Schutzmontur eingefügt, auf der Rückseite steht der Titel in leuchtgelben Lettern in dem Blassrosa des Einbandmaterials. Das grelle Warngelb wiederholt sich innen auf Rückseite von Einband und auf dem Vorsatzpapier.

Für jedes Foto gibt es im Anhang einen kurzen Erläuterungstext. Das nachdenklich machende Buch ergäbe aber auch ohne diese Legenden durch seinen Kontext Sinn. Noltings Rückblick deutet an, dass in der Situation zwischen mangelnder Erfahrung, Unwissenheit, Vorsorge und Bürokratie vieles falsch lief – zu hoffen bleibt, dass man daraus für die kommenden Tage (und die nächste Pandemie) gelernt hat.