Alltag in der Tschechoslowakei

Schon oft habe ich mich gefragt, wie ich wohl ein Buch beurteilen würde, das in einer Fremdsprache geschrieben ist, die ich nicht verstehe. Bei Fotobüchern kommt das öfters vor, man denke an China, Japan und die viele anderen Länder, aus denen Bücher mein Regal bereichern. So auch und vor allem aus der aus der früheren Tschechoslowakei, deren Fotobücher insbesondere aus den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten ich sehr schätze.

Nun erschien genau über diese Zeit ein Ausstellungskatalog, der Všední den heißt, übersetzt „Alltag“. Der Alltag in der tschechoslowakischen Fotografie war vor allem ein Thema in Bezug auf Städte. Sie boten Motive für das ganze Spektrum des Alltagsbetriebs, Straßen, Schaufenster, Passanten, Handwerker, Schattenspiele, Wetterkapriolen, Fabriken und und… Die von Lukáš Bártlkuratierte Zusammenstellung berücksichtigte u. a. Jiří Jeníček, Václav Jírů, Karel Otto Hrubý, Marie Šechtlová, Erich Einhorn und seine Ehefrau Milada Einhornova, Miloš Budík und andere, Bildautoren, von denen es auch eindrucksvolle Fotobücher über Städte wie Praha, Olomouc, Brno oder České Budějovice gibt. Bártl konzentrierte seine von diversen Leihgebern gespeiste Bildauswahl auf poetische, oft surreal angehauchte, konstrastvolle Straßenszenen – Spitzenwerke, die nicht viel mit der banalen Dutzendware des Sozialistischen Realismus gemein hatten, aber nicht in offenem Widerspruch zu diesem standen, also veröffentlicht werden durften. Die Gestaltung mit volltonigen gelben Flächen auf den Seiten mit den Fotografenviten, die den Bildteil gliedern, und als Hintergrund für die Vergleichsabbildungen aus Illustrierten und von Buchumschlägen sowie kräftigen Rot- und Blautönen für Einband und Vorsätze ist als dezente Reminiszenz an die Zeit um 1960 zu verstehen, als Derartiges durchaus üblich war, man denke an das phantastische Buch über Mariánské Lázně von Einhorn, Kohout und Sovák (1961).

Zurück zu Frage nach der Sprache. Selten habe ich es, wie in diesem Fall, als Mangel erlebt, den einführenden Text nicht lesen zu können. Ein zweiseitiges Resümee in Englisch und das umfangreiche Literaturverzeichnis sind nur ein Trostpflaster für den neugierigen Berichterstatter, der gern mehr über seine Lieblingsepoche in der tschechoslowakischen Fotografie erfahren würde.