Gespenstische Gigantonomie

Nord Korea: Oliver Wainwright schaut hinter den großen Vorhang

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Genau genommen dürfte das Buch gar nicht Inside North Korea heißen, sondern „Inside Pyongyang“. Oliver Wainwright, Journalist und Fotograf des Guardian, hat ausschließlich in der nordkoreanischen Hauptstadt fotografiert. Und er hat natürlich nur das abgelichtet, was ihm gestattet wurde. Journalisten und Reisende werden in Nord Korea auf Schritt und Tritt von staatlichen Schnüfflern des Regimes begleitet und kontrolliert. Wir sehen also in seinem Band von vornherein nur die offiziell genehmigten Seiten des stalinistischen Musterstaates. Und da fällt zunächst auf, wie wenig Menschen auf den Fotografien zu sehen sind. Immerhin zählt die Kernstadt Pjöngjang (so die deutsche Schreibweise) mehr als 3,2 Mio. Einwohner. Die riesigen Plätze: fast leergefegt. Die Straßen: kaum befahren. Die gigantischen Stadien und Kulturzentren: entvölkert. Selbst aus der Vogelperspektive sieht es kaum anders aus: Man nehme eine Lupe zur Hand und findet auf Wainwrights Stadtpanoramen nur wenige Passanten. Diese kolossalen Architekturszenerien und bisweilen bizarr anmutenden blitzblanken Interieurs wirken somit ein wenig gespenstisch. Dabei ist alles recht bunt, jedenfalls farbiger als gedacht, ungemein aufgeräumt, geradezu idyllisch, wenn das nicht ein Widerspruch zur vorherrschenden Gigantonomie wäre. Bemerkenswert ist natürlich das vollkommene Fehlen jeglicher kommerzieller Werbung. Dafür sind die monströsen Denkmäler und politischen Propagandawände umso auffälliger.

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Wainwrights Farbaufnahmen sind wenig aufregend, wahrscheinlich auch deshalb nicht, weil Nordkorea „normaler“ ist, als wir uns vorstellen können. Wainwright zeigt, was ist, was er gesehen hat, bzw. was er zeigen durfte und das in beeindruckender Tiefenschärfe. Er suchte weder originelle Perspektiven noch interessante Details; vielleicht hätte er das gerne getan… Das Buch verströmt somit den unspektakulären Charme eines soliden Reiseführers: klar, sachlich, informativ. Immerhin relativiert er diesen Eindruck mit seinem lesenswerten Vorwort, in dem er nicht zuletzt die Widersprüche zwischen schönem Schein und jener bitteren Realität hervorhebt, die er nicht fotografieren durfte.

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Dass trotz aller Einschränkungen übrigens auch ein anderer fotografischer Blick auf Nord Korea/Pjöngjang möglich ist, haben vor einigen Jahren Lukas Nikol, Christian Kracht und Eva Munz bewiesen. Aber das sei nur nebenbei erwähnt.

Repros: Taschen

  • Titel: Inside North Korea
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Oliver Wainwright
  • Textautor: Oliver Wainwright
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Andy Disl
  • Verlag: Taschen
  • Verlagsort: Köln
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: englisch, deutsch, französisch
  • Format: 22 x 28 cm
  • Seitenzahl: 240
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 40 Euro
  • ISBN: 978-3836572217

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