Der Film des Großen Vorsitzenden

„Die totale Erinnerung – Kim Jong Ils Nordkorea“ ist ein Gemeinschaftsprojekt des Schriftstellers Christian Kracht, der auch das Vorwort verfasste, sowie der Fotografen Eva Munz und Lukas Nikol. Der Band entstand nach einer gemeinsamen, von den obersten koreanischen Behörden genehmigten und kontrollierten Reise in die asiatische Terrra incognita. Natürlich konnten sie sich nicht frei bewegen: Die Orte waren ausgewählt, Blickwinkel vorgegeben, Straßenszenen arrangiert und inszeniert. Kim Jong Il ist profunder Filmkenner, sein Land Kulisse seines eigenen imaginären Films.

Konsequenterweise ist keine Reisedokumentation entstanden, sondern ein Konzeptband, der zunächst einmal zeigt, was man von einem stalinistisch regierten Land erwartet: Karge Plattenbausiedlungen, menschenleere überdimensionierte Plätze, spärlich bestückte Lebensmittelregale, riesige Agitpropmosaiken, Massenaufläufe des Volkes: Eine beklemmend trostlose, total kontrollierte Welt, die alle unsere Vorurteile bestätigt. Kommentieren lassen die Autoren das – und das macht den Reiz – vom Großen Vorsitzenden selbst: Mit Zitaten aus seinen Standardwerken zur sozialistischen Filmtheorie, welche die 100 Fotografien auf seltsame Weise spiegeln und als deren Illustrationen erscheinen lassen. Etliche Bilder wirken wie aus der Hüfte geschossen: flüchtig, verwackelt, schlecht belichtet. Versuche, sich der staatlichen Kontrolle für Momente zu entziehen? Wir erfahren es nicht. Vielleicht gehört es sogar zur Inszenierung dazu: Kim Jong Ils eigener „Dogma“-Film.