Chemie und Pfannkuchen

In Aarhus zur diesjährigen Photobook Week hatte ich die Gelegenheit, die jüngste Auswahl des Kasseler Fotobuch-Dummy-Wettbewerbs zu sehen. Ich hatte den Eindruck, dass es bei vielen dieser Entwürfe vor allem darum ging, aufzufallen.

Die Notwendigkeit, zu diesem oder jenem Thema ein Fotobuch zu machen, war nicht immer zwingend. Und nicht immer passten Form und Inhalt zusammen. Wie sehen nun die beiden Siegertitel des Wiener Awards 2017 und des Kasseler Awards 2016 aus? Die Prämie besteht ja bei beiden Wettbewerben in der Realisierung des Entwurfs als Verlagsproduktion. Um es gleich vorwegzunehmen: Vor allem beim Kasseler Preisträger hat sich das gelohnt!

In Wien war in diesem Jahr Alternative Moons von Robert Pufleb und Nadine Schlieper erfolgreich. Es geht um Fotos eines Objektes, das wir alle schon gesehen haben, das aber weit weg ist und von daher eine die Phantasie anregende Wirkung hat, um Bilder des Mondes. Es gibt ja Verschwörungstheoretiker, die nachweisen wollen, dass es die Flüge zum Mond nie gegeben hat und dass diese eine große Propaganda-Inszenierung in irgendwelchen Liegenschaften der NASA handelt. Pufleb und Schlieper haben den Mond in schön runder Form und in Schwarzweiß vor nachtschwarzem Fond gestellt und man ist versucht, die Struktur der Mondlandschaften mit ihren Kratern anhand der im Buch präsentierten Abbildungen näher zu untersuchen… doch es ist alles ein Fake. Am Ende verraten die Autoren, dass es sich lediglich um fotografierte Pfannkuchen handelt und geben noch dazu ihr persönliches Kochrezept preis. Das nur wenige Wochen nach der Preisverleihung erschienene Buch ist geradezu unterkühlt gestaltet, was zu einer wissenschaftlichen Anmutung gut passt. Das Buch ist ein schöner Beitrag zum Thema Wahrheit und Fotografie, auch wenn der Aha-Effekt nach Lesen der letzten Seite mit der Auflösung schnell verfliegt.

Mathieu Asselin war mit einer umfangreichen Recherche über den Chemieproduzenten Monsanto beim Kasseler Award 2016 erfolgreich. Das sehr aufwändig produzierte Buch erschien jetzt im Kettler Verlag und bei Actes Sud. Es scheint auch in der veröffentlichten Fassung recht nah an dem ursprünglichen Entwurf geblieben zu sein; es gibt sogar zwei eingeklebte Drucksachen (ein Vertrag, ein Heft als Sammlung mit Werbeanzeigen von/für Monsanto). Asselin zeigt nicht nur Fotos von Opfern der Firma (verseuchte Böden, Kriegsopfer von Agent Orange, Hinterbliebene von Krebstoten), sondern auch Dokumente (Ausschnitte aus Zeitungen oder Firmenbroschüren) und am Ende sogar Stillleben von Firmenpräsenten, kombiniert mit Slogans zum segensreichen Wirken von Monsanto im Dienste der Bekämpfung des Hungers und zum Wohle der Landwirtschaft. Das Thema ist aktueller denn ja, Stichwort Round Up (Glyphosat), Stichwort Übernahme von Monsanto durch Bayer. Da kann einem das Billigbrötchen schon im Halse stecken bleiben. Der Einband wirkt wie eine Fotopapierschachtel, das Layout erinnert eher an ein Sachbuch als an ein im Kunstkontext stehendes Fotobuch. Aber selbstverständlich sind hervorragend fotografierte Porträts, Landschaften und Stillleben enthalten. Die Arbeit steht deutlich in der Tradition der humanistischen, investigativen Fotografie (man denke an Minamata von W. Eugene Smith, 1975) und hat das Zeug, zum Klassiker zu werden. Zur Paris Photo ist das Buch zu Recht in die engere Auswahl der besten Neuerscheinungen des Jahres genommen worden (Kategorie „first photobook“) und hat schließlich auch den Preis gewonnen.

Paris Photo, 11.11.2017

Paris Photo, 11.11.2017