Das Bild ist im Kopf

Die Bild-Zeitung und die Fotografie

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Klotzen, nicht kleckern: das war schon immer die Devise der Bild-Zeitung. Auch zum 60. Geburtstag lässt sich das Blatt nicht lumpen, sondern feiern. Und zwar so, dass sich der Coffee-Table verbiegt, worauf der elf Kilo schwere Foliant liegt. Auf 748 Seiten vereinigt er Titelblätter des Boulevard-Blattes in Originalgröße. Von jedem Monat eins und zwar vom 24. Juni 1952 bis zum 9. März 2012.

Als die Bild-Zeitung erstmals erschien, wollte sie gedruckter Film sein, ein visuelles Medium, das ohne viel Federlesens die Welt auf den morgendlichen Küchentisch wirft. Zunächst dominierten Fotos, kurze Bildunterschriften kommentierten, werteten, erläuterten, spitzten zu. Auf der ersten Ausgabe Winston Churchill als Aufmacher, ganz staatsmännisch mal ohne Zigarre. Alles weitere sehr harmlos, eine nette Mischung aus Politik, Sport und Glamour. Die Hauptmeldung in dicken Lettern hat kein Foto: „Die Grenze bei Helmstedt wird gesichert“. Noch Anfang Oktober 1952 bringt die Bild-Zeitung als Aufmacher einen großen „Telephoto-Bericht“ von der Niederlage der deutschen Fußballelf gegen Frankreich.

Kaum fünf Monate später hat sich die Erscheinung von Bild stark verändert. Auf der ersten Seite ein Konglomerat aus Bildern und Texten, wobei die Wortbeiträge dominieren. Am Anfang war nun mal nicht das Bild, sondern das Wort. An dieser biblischen Wahrheit kam auch Axel Springer nicht vorbei. Folglich kam man bei der Bild-Zeitung mit ihrer anfänglichen Fotolastigkeit sehr schnell zur Einsicht, dass sich mit Worten viel mehr aus- und anrichten lässt als mit Fotos, auch wenn ein (gutes) Bild bekanntlich mehr sagen könnte als tausend Worte. Die Bilder traten also in den Hintergrund, während die Wörter immer größer, greller und schreiender wurden. Mit solchen Schlagzeilen kann ja kein Foto ernsthaft konkurrieren, wenn die Sache nicht in Realsatire abgleiten soll: „Regierung beschließt: Doch 0,8! Dürfen Autofahrer nur noch am Schnapsglas riechen?“, „Baader-Meinhof ißt jetzt Kaviar in der Zelle“, „1. Tor mit Penis geschossen“, „Seltsame Diät: Frau isst Kriminalromane!“ oder ganz prägnant: „Wir sind Papst!“, usw. usw.

Wenn Bilder bei Bild aber nicht die Hauptsache sind, welche Funktion haben sie dann? In erster Linie Beweischarakter. Sie unterstreichen den Text, bekunden dessen „Wahrhaftigkeit“, ergänzen die Schlagzeile und lockern so das komplexe grafische Gefüge auf. Fandungsfotos von Gewalttätern, Agenturbilder, private Schnappschüsse: oft sind die Abbildungen unscharf, undeutlich, verschwommen. Das gehört zum Konzept: Bild will roh sein, die Massen gewinnen, aufrütteln, Einfluss nehmen, prägen, sich als täglicher Kumpel oder Anwalt der „kleinen Leute“ gerieren, da braucht es keine künstlerisch hochwertige Fotografie – ganz im Gegenteil. Letztlich entstehen die Bilder ohnehin im Kopf des Lesers. Nur das nackte Bild-Girl war über Jahrzehnte messerscharf. Hier blieb nichts der Phantasie überlassen – was auch wieder ins Bild passt.

  • Titel: Das Bild-Buch
  • Untertitel: 60 Jahre Bild-Zeitung
  • Bildautor: 
  • Textautor: Kai Dieckmann, Stefan Aus, Sebastian Turner, Ferdinand von Schirach, Josef Wagner
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Andy Disl
  • Verlag: Taschen
  • Verlagsort: Köln
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch
  • Format: 59,2 x 40,4 cm
  • Seitenzahl: 748
  • Bindung: Leinen
  • Preis: 99,99 Euro
  • ISBN: 978-3-8365-3863-3

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