Das dokumentarische Moment

Vom Click zum Doubleclick – von der Darstellung zur Vorstellung der Welt

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Eine Fotografie öffnet ein Fenster in die Welt. Es geht aber schon lange nicht mehr darum, zu beweisen, dass die Welt so aussehe, wie es ein Foto glauben machen will. Fotografie als Beweis mag allenfalls noch bei Versicherungsschäden und bei gerichtsrelevanten Polizeiprotokollen eine Rolle spielen. Dokumentarische Fotografie zeigt und beweist etwas anderes, nämlich wie ein Künstler, eine Künstlerin die Welt sieht. Diese Erkenntnis ist weder neu noch originell, scheint aber so viel Stoff und Diskussionsbedarf zu bergen, dass das Haus der Kunst in München dem in der Fotografie festgestellten Wandel von der Darstellung zur Vorstellung der Welt eine große Ausstellung und einen 320 Seiten starken Katalog widmete. Es geht darin um „welthaltige“ Fotokunst oder auch um „interessante Lügen“ (Johan de Vos), keinesfalls aber um fotografische Illustrationen.

Das Buch ist schnörkellos und nüchtern unter Verwendung zweier verschiedener Papiersorten für Bilder und Texte gestaltet. Nach dem Schmutztitel folgt nicht der Innentitel, sondern ein zunächst irritierender 25seitiger Prolog mit annähernd chronologisch sortierten, unbeschrifteten, aber im Anhang anhand einer Liste identifizierbaren Bildbeispielen. Diese stecken zwischen einem (ausgestopften?) Häschen am Waldrand (1852) und einer schonungslosen Aktaufnahme von Boris Mikhailov (1999) den Bezugsrahmen ab, in dem man sich im Weiteren bewegen wird. Allen diesen und den Bildern im Hauptteil ist die Frage, ob es wirklich so gewesen ist, zu stellen. Der Fotograf war da, aber was hat er gesehen? Wurde etwas inszeniert, montiert, verändert? Wenn ja, ist dies unter dem Konzept, dokumentarisch zu fotografieren, überhaupt erlaubt? Und darf man sich bei allem ernsthaften Streben nach künstlerischer Aneignung und Ausdruck auch ein wenig Witz leisten und zum Beispiel ein überaus kostbares und seltenes Gut fotografieren, nämlich, wie es Martin Parr tat, die letzten Parklücken? Ja, man darf. Es handelt sich ja nicht wirklich um banale Parklücken, sondern eigentlich um eine spezifische, nur temporäre sichtbare global grassierende Zivilisationserscheinung.

Das Buch ist nicht nur Bildband und visuelle Antwort auf die gestellten Fragen, sondern auch ein sorgfältig erarbeiteter Ausstellungskatalog bis hin zu der Werkliste und den Autorenviten. Auf Weskis Vorliebe für die (wie auch immer) dokumentarischen Spielarten der Fotografie und eine adäquate Umsetzung seiner Ideen dazu kann man sich – wie schon bei „How you look at it“ (2000) oder bei „Cruel and tender“ (2003) – verlassen. Weski geht kein Risiko ein und präsentiert mit den Becher-Schülern, Jeff Wall oder den Tillman-Tellers überwiegend sichere, fest etablierte Kandidaten, mit Stephen Gill, Jules Spinatsch oder Hans van der Meer aber auch einige etwas weniger bekannte, nicht minder interessante Protagonisten. Wirkliche Neuentdeckungen sind nicht zu machen.

Der Katalog geriet – unabhängig von der Ausstellung – zu einem geschlossenen Werk, das allen denjenigen ans Herz gelegt werden kann, für die die Fotografie – unabhängig von Technik und Konzept – noch erkennbar etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben muss. Der neue Begriff dafür heißt „Welthaltigkeit“. Nach Lektüre des Buches ahnt man, was damit gemeint sein könnte.

 

  • Titel: Click Doubleclick
  • Untertitel: Das dokumentarische Moment
  • Bildautor: diverse
  • Textautor: Thomas Weski, Jean-François Chevrier, Johan de Vos
  • Herausgeber: Thomas Weski
  • Gestalter: 
  • Verlag: Verlag der Buchhandlung Walther König
  • Verlagsort: Köln
  • Erscheinungsjahr: 2006
  • Sprache: deutsch oder englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 320
  • Bindung: Hardcover, Schutzumschlag
  • Preis: 48 Euro
  • ISBN: 3865600530 (Deutsche Ausgabe), 3865600549 (Englische Ausgabe)

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