Die Romareisen

Joakim Eskildsens sensibles Fotoessay über ein Volk ohne Land und Lobby

Eskildsen_Roma

Lustig ist das Zigeunerleben? In dem Fotobuch „Die Romareisen“ von Joakim Eskildsen kann man sehen, was ein Leben zwischen Tradition und Anpassung bedeutet. Sechs Jahre reiste der Fotograf quer durch Europa bis nach Indien und lebte mit Roma-Familien. Seine Bilder zeigen das oftmals harte Leben am Rande der Gesellschaft. Magda beispielsweise lebt sesshaft in einem kleinen Dorf in Ungarn und schickt jeden Abend ein Stoßgebet zum Himmel hinauf: „Gott, gib Gesundheit und Brot“. Tuju, die weit außerhalb von Paris kampiert und stets auf Neue vertriebenwird, stellt sich die Frage „Wo sollen wir nun hin?“

Die Bilder des dänischen Fotografen Joakim Eskildsen sind Momentaufnahmen aus einer Paralellwelt, in der tradierte Lebensformen bis heute überdauern. Gegen viele Widerstände bewahrt das Volk der Roma ungeschriebene Gesetze und Bräuche, setzt auf Gemeinschaftssinn und – wo möglich – auf tradiertes Handwerk oder fliegenden Handel. Roma fallen durch ihre Andersartigkeit auf – und werden bis heute missachtet, verleumdet und vertrieben. „Roma sind uns lästig. Sie sind das Fremde an sich“, analysiert Günter Grass im Vorwort.

Eskildsen, der über lange Zeiträume hinweg Tisch und Bett mit Roma-Familien geteilt hat, löst in seinem Fotoessay Gesichter aus der Masse – und seine Frau, die Autorin Cia Rinne, schreibt die Lebensgeschichten dazu auf. Ernsthaft und behutsam tun sie dies, so dass die Porträtierten darauf vertrauen, nicht für eine fremde Sache instrumentalisiert zu werden. „Je mehr wir über die Roma erfuhren und sie kennenlernten, desto größer wurde unser Interesse und die Sympathie für sie“, sagt Eskildsen – seine Fotografien spiegeln diese Wärme und Empathie. Offen und selbstbewusst treten die Roma dem Fotografen entgegen, laden ihn in bescheidene Häuser, Holzbaracken, Wohnwagen oder Zelte ein. Und Eskildsen schaut sich genau und sensibel um, tastet mit der Kamera die Gesichter und die Umgebung ab.

In sieben Kapiteln, die sich jeweils auf ein Land beziehen, entfaltet Eskildsen einen dramaturgischen Spannungsbogen. Der 37-jährige Dokumentarfotograf ästhetisiert bewusst und arbeitet – scheinbar spielerisch – mit Farben und Formaten. Sanfte Schwarzweißaufnahmen setzen den Kontrapunkt zu intensiven Farbfotografien. Ein Querformat erstreckt sich mal episch über eine Doppelseite oder wird, eingepasst in einen weißen Rahmen, auf eine Seite begrenzt. Dann tauchen überraschend Porträtaufnahmen im Hochformat auf. Eskildsens Komposition ist klug: stets verdichtet er die Bildaussage, schafft Bilder voller Eindringlichkeit.

Neugierig und teilnahmsvoll betrachtet man daher die rätselhaften Fremden, die geduldig der Umgebung trotzen. Mal kampieren die Roma-Gemeinschaften notgedrungen auf einer stillgelegten Müllkippe, mal suchen sie Schutz unter einem Eisenbahnviadukt. In Frankreich werden sie von der Polizei verjagt, in Russland von Neonazis verprügelt. Wie hält man ein solches Leben aus? „Was wir erlebt haben, waren Menschen, die glücklich waren, zufrieden mit ganz einfachen Dingen“, sagt Eskildsen. Auch wenn er den Mangel vielleicht romantisiert – mit seiner feinsinnigen Dokumentation über die Roma trifft er einen Nerv, der viel über die Defizite unserer Gesellschaft verrät. Familiärer Zusammenhalt prallt auf rücksichtslosen Individualismus, Aufbegehren auf Konformität, Eigenständigkeit auf Moden, Armut auf relativen Wohlstand. Der Blick auf diese fremde, magische Welt wirft uns jäh auf uns selbst zurück. Haben wir, die die Normen setzen und ausgrenzen, wirklich den besseren Lebensentwurf?

 

  • Titel: Die Romareisen
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Joakim Eskildsen
  • Textautor: Cia Rinne, Vorwort von Günter Grass
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Joakim Eskildsen
  • Verlag: Steidl
  • Verlagsort: Göttingen
  • Erscheinungsjahr: 2007
  • Sprache: deutsch
  • Format: mit CD
  • Seitenzahl: 416
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 60 Euro
  • ISBN: 9783865214294

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