Ein Buch der Forschung

In Paris unterwegs mit Krass Clement

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Wenn Parr und Badger das minimalistische Buch „Drum“ nicht in ihre Fotobuchgeschichte aufgenommen hätten, wüsste die Welt außerhalb des Königreichs Dänemark immer noch nicht, dass dort mit Krass Clement (* 1946) einer der großen Geschichtenerzähler und Fotobuchautoren lebt. Die dänische Post hat ihm sogar eine Briefmarke gewidmet, auf der ein Bild aus seiner Berlin-Serie verewigt ist. Berlin gehörte neben Kopenhagen, Moskau, Lissabon, dem irischen Drum und Havanna zu den Städten, über die der, so scheint es, unablässig in Bewegung befindliche Fotograf ein Buch gemacht hat. Zu dieser Reihe hinzugefügt hat er jetzt einen großartigen Bildessay über Paris, ein „Buch der Forschung“, so der Untertitel des Buches, das Aufnahmen aus den 60er- und 70er-Jahren enthält. Einmal mehr zeigt Clement, wie man einen über Jahre gewachsenen Stapel von Einzelbildern durch Gruppierung, Reihung und Rhythmisierung zu einer Erzählung verdichtet, die ohne Worte auskommt und trotzdem oder gerade deshalb gefangen nimmt. Folgerichtig gibt es (wie immer) weder ein Vorwort noch einen sonstigen Text, der den Betrachter durch eine Interpretation oder Erklärung des Werks eingengt. Die Chance, den eigenen Assoziationen vertrauen und nachspüren zu können, bleibt damit gewahrt. Im Buch gibt es zwei oder drei Bilder, die Selbstportraits des Fotografen sein könnten. Ob es tatsächlich solche sind, ist unerheblich, allein die Möglichkeit zählt.

Die Anreise erfolgt mit der Bahn. Am Fenster des von einer Dampflokomotive gezogenen Zuges ziehen düstere Industrieanlagen vorbei. Der Innentitel des Buches markiert den Halt auf einem Pariser Bahnhof. Der Reisende erholt sich in einem altmodischen Bistrot und beginnt, durch die Stadt zu flanieren. Die Eindrücke von den Straßen wechseln mit der Tageszeit; Studenten demonstrieren, Barrikaden brennen, in den Bars treffen sich ein paar Typen auf ein Glas, während im Hintergrund eine Diva selbstvergessen tanzt. Clement arbeitet mit Sequenzen, die unterschiedliche Aufnahmen eines oder zweier Motive ineinander verschränken und in Bewegung setzen. Über das ganze Buch verteilt tauchen bestimmte Motive immer wieder auf, so eine Nackte in Pensionszimmern, es könnte die Begleiterin des Fotografen sein, irgendwelche Kneipen oder Reisende in Zügen, Untergrundbahnen und Bussen. Den Eiffelturm sucht man vergeblich, touristische Highlights tauchen noch nicht einmal als Hintergrundkulisse auf. Doch die Stadt ist unverkennbar präsent, in den französischen Schildern, den Passanten, den Straßen, die einem bekannt vorkommen aus dem großen Repertoire an Bildern von Atget bis Doisneau. Doch der melancholische Blick des Dänen ist unverwechselbar und einzigartig: es IST tatsächlich Paris, aber so konnte es nur Clement empfinden und darstellen. Am Schluss dieses Film Noir in Buchform liegt ein lebloser Körper auf einem Bahnsteig und das Schild „Sortie Escalier Mechanique“ verheißt einen Ausweg aus dem Paris-Labyrinth. Was wohl den Betrachter am Ende der Rolltreppe erwarten mag?

  • Titel: Paris
  • Untertitel: Carnet de Recherche
  • Bildautor: Krass Clement
  • Textautor: 
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Camilla Jørgensen, Krass Clement
  • Verlag: Gyldendal Forlag
  • Verlagsort: Kopenhagen
  • Erscheinungsjahr: 2010
  • Sprache: französisch, dänisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 204
  • Bindung: illustriertes Leinen
  • Preis: 499 Dänische Kronen
  • ISBN: 978-87-02-10143-0

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