Genuss ohne Reue

Zivilisationkritik von Guy Tillim und Peter Bialobrzeski

zusammen

Eine anschauliche Metapher beschreibt den Zusammenhang globaler Katastrophen als Sturm, der auf der anderen Seite des Ozeans vom Flügelschlag eines Schmetterlings entfacht worden sei. Das soll heißen: Alles hängt irgendwie mit Allem zusammen. Guy Tillims neues Fotobuch Second Nature zum Thema „Natur in Menschenhand“ scheint ein dazu passendes Statement zu sein. Einerseits fotografierte er auf Südseeinseln, wo das Grün noch dominiert. Es scheint dort geradezu paradiesisch wirkende Landschaften zu geben, obgleich eine asphaltierte Straße im Vordergrund andeutet, dass der Urwald ganz leicht erreichbar ist. Überhaupt sind auf den meisten der polynesischen Idyllen Zeichen der Zivilisation zu finden: Leitern zum Abernten der Kokospalmen, Rodungsspuren und Lichtungen, Straßen, Autowracks, Nebel wallt wie Rauch von Brandrodungen. Zuweilen geht der Blick aufs Meer: steigt der Wasserspiegel schon, wann kommt der nächste Tsunami? Dunkle Wolken mit kreisenden Seevögeln schließen das Südseekapitel ab. Der zweite Teil dieses Buches entstand in Sao Paulo. Trotz Sonne herrscht in den von Hochhäusern gesäumten Straßenschluchten eine gewisse Düsternis, die Farben sind noch kraftloser als im ersten Teil. Von Tropenidylle und brasilianischer Lebensfreude keine Spur. Unwillkürlich sucht man das Grün, findet es auch irgendwo am Rande, selten auch als dünne, durchlässige Wand aus Blättern von Sträuchern und Alleebäumen. Ist das Grün hier nun auf dem Rückzug oder schon wieder auf dem Vormarsch, wohl wissend, dass die Natur letztlich immer den Sieg über alles Menschenwerk davontragen wird? Wenn man das so interpretieren dürfte, wäre das Großstadtkapitel in Tillims Buch kein verzichtbares Anhängsel an die subtile Schilderung des polynesischen Mensch-Natur-Gleichgewichts, das aus der Balance zu geraten droht.

Ein kritischer Ansatz steckt auch in dem jüngsten Werk (der Titel übersetzt: Das Rohe und das Gekochte) von Peter Bialobrzeski. Bei ihm geht es freilich nicht um Natur, sondern um Architektur, um die Frage, was man dem sozialen Wesen Mensch noch alles an unsozialen Bauwerken zumuten kann. Bruchbuden in Slums und futuristische Wolkenkratzer scheinen gleichermaßen ungeeignet, jedenfalls in den Augen des Fotografen. Das Erstaunen über jegliches architektonische Elend mischt sich mit dem Entsetzen, dass traditionelle Wohnformen in kleinen, über Jahrzehnte oder Jahrhunderte langsam gewachsenen Vierteln den rational geplanten und rationell gebauten Wohntürmen weichen müssen. Alle Bilder entstanden in asiatischen Megastädten, was die Faszination des ausgebreiteten Bildmaterials erklären hilft. Bialobrzeski sucht und findet Lichtsituationen, gern abends oder nachts, oder ganz besondere Standpunkte, gern mit Übersicht, was ihm bei der Bildgestaltung im Sinne einer vorzugsweise atemberaubenden, überwältigenden Komposition hilft. Das Zuviel an Subtilität bei Tillim hat sich hier in ein Zuwenig gewandelt.

Die Frage ist, an wen sich die beiden aufwändig produzierten, großformatigen Bildbände richten. Der europäische Connaisseur sitzt bequem bei einem sorglos zubereiteten Tässchen Tee auf dem Sofa und kommt aus dem Staunen nicht heraus. Das war´s dann aber auch schon, denn dass die Welt groß, bunt und trotzdem nicht immer schön ist, ist nicht neu. Prozesse des Wandels, ob Raubbau an der Natur oder bei der Urbanisation, haben sich auf der Suche nach Glück und Wohlstand auch hier abgespielt – Stichwort Schwarzes Revier. Jetzt aber sind die anderen an der Reihe, ihre Erfahrungen zu machen. So gesehen erreichen beide Bücher nicht das richtige Publikum, wenn sich doch der anfängliche Schauer ob der Zumutungen der Zivilisations- und Globalisierungsprozesse angesichts entsprechender Großformate an der Museumswand oder eines zur Ausstellung gereichten Coffee Table Books so leicht zu Werken folgenloser Schönheit sublimieren lässt…

 

  • Titel: Second Nature
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Guy Tillim
  • Textautor: Guy Tillim, Els Barents
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Gabrielle Guy
  • Verlag: Prestel
  • Verlagsort: München/London/New York
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: englisch, französisch
  • Format: 31,5 x 30 cm
  • Seitenzahl: 112
  • Bindung: Leinen mit montierten Abb.
  • Preis: 49,95 Euro
  • ISBN: 978-3-7913-4690-8
  • Titel: The Raw and the Cooked
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Peter Bialobrzeski
  • Textautor: Peter Bialobrzeski, Peter Lindhorst
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Indra Kupferschmid mit Peter Bialobrzeski
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 28,5 x 34,5 cm
  • Seitenzahl: 160
  • Bindung: illustriertes Halbleinen
  • Preis: 68 Euro
  • ISBN: 978-3-7757-3192-8

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