Man hört es derzeit allerorten: Hühnerhaltung ist in, selbst in Städten! Nun kann nicht jeder oder jede Hühner halten, und daher verwundert es nicht, dass zumindest immer mehr Bio-Eier nachgefragt werden anstatt der industriellen Ausbeutung von Legehennen durch den Kauf von Billigeiern im Supermarkt Vorschub zu leisten. Aber auch die Bio-Produktion hat nicht mehr viel mit der kleinen Herde Hennen nebst Gockel gemein, die gackernd Hof und Garten des Bauern auf der ewigen Suche nach Futter durchstreift. Hühner sind intelligenter als gemeinhin vermutet und besitzen ein ausgeprägtes Sozialverhalten, deshalb ist es ziemlich grausam, in diesen Tiere nur Legemaschinen und Billigfleischlieferanten zu sehen. Ausgemusterte Legehennen werden von manchen Betrieben nicht diskret entsorgt, sondern verschenkt und werden dann von Tierschützern wieder aufgepäppelt. Das Gefieder wächst wieder, die Vögel nehmen zu und sogar ihr Sozialverhalten normalisiert sich.
Solchen und anderen geretteten Hühnern (und Hähnen) und ihre engagierten Pflegerinnen und Pflegern hat Janet Holmes ein ganzes Fotobuch gewidmet. Traumatisierende Bilder von finsteren Legebatterien und der frisch daraus entlassenen geschundenen Kreaturen erspart uns die Autorin weitgehend, nur wenige der porträtierten, immer einen schönen Namen tragenden Hühner sehen noch etwas mager und gerupft aus. Dafür posieren die ihre neue Freiheit genießenden Vögel wie Models in der Werbung, so jedenfalls will es die Inszenierung der Fotografin. Sie stolzieren in den schicken Wohnungen im Landhausstil umher, bewundern sich selbst im Spiegel, dienen ihren neuen Besitzern oder Besitzerinnen als flauschige Kuschelobjekte und irgendwie wirkt alles wie in einem Märchen, in dem alles gut ausgeht. Das eine oder andere Bild wirkt dabei – unfreiwillig oder kalkuliert? – komisch bis kitschig. Weil man weiß, dass es um „rescued chickens“ geht, kommt eine gewisse Ambivalenz ins Spiel, denn auf diese Weise erreicht die Fotografin vielleicht mehr Aufmerksamkeit für die armen Vögel als durch eine Undercoverreportage aus einem fiesen Hühnerknast.
PS. Wir haben schon einmal ein ähnliches, abseits von Ratgebern, Bestimmungsbüchern und sonstiger Fachliteratur angesiedeltes Hühner-Fotobuch vorgestellt, an das hier erinnert werden soll.
- Titel: Nest
- Untertitel: Rescued Chickens at Home
- Bildautor: Janet Holmes
- Textautor: Michelle Carrera, Maddie Cartwright, Janet Holmes, Janelle Lynch, Julia Magnus, Rocky Schwartz, Ashley Snyder, Kathy Stevens
- Herausgeber:
- Gestalter: Loreen Lampe (Kehrer Design)
- Verlag: Kehrer
- Verlagsort: Heidelberg
- Erscheinungsjahr: 2020
- Sprache: englisch
- Format: 22,5 x 24,5 cm
- Seitenzahl: (nicht paginiert, 120 S.)
- Bindung: illustriertes Hardcover
- Preis: 35 Euro
- ISBN: 978-3-86828-987-9