Guantánamo geht, die Erinnerung bleibt

Edmund Clark dokumentiert die Geschichte eines Ex-Häftlings

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Guantánamo – wann immer wir dieses Wort hören, wirft unser Bildgedächtnis eine prägende Erinnerung aus: Männer in orangefarbenen Overalls, gefesselt an Händen und Füßen, kniend in riesigen Drahtkäfigen, bewacht von US-Soldaten mit schussbereiter Waffe in der Hand. Gefährlich, so lautet der Subtext dieser Bilder, sehr gefährlich sind diese Männer – Hardcore-Terroristen, Bin-Laden-Jünger. Heute weiß man: Unter wenigen bösartigen Männern saßen unschuldige Teenager, Familienväter und Greise. Sie wurden aus ihren Herkunftsländern nach Kuba verschleppt, dort ohne Prozess jahrelang festgehalten, psychisch und physisch gefoltert und ihrer vitalen Lebensmöglichkeiten beraubt. Obschon etliche Journalisten über Guantánamo berichteten und viel publiziert wurde, weiß man bis heute wenig über die ehemaligen Gefangenen. Welche Erfahrungen machten sie im Lager, was hielt sie dort am Leben, und wie gelang ihnen die Rückkehr in den Alltag? Aber vor allem: Wie erzählt man solche Lebensgeschichten mit den Mitteln der dokumentarischen Fotografie?

Der Fotograf Edmund Clark wagt den Versuch – und dieser ist durchaus biografisch begründet. Bereits mit seiner Fotoserie „Still Life: Killing Time“ beschäftigte er sich mit britischen Gefängnissen und deren Insassen. Wichtiger aber mochte gewesen sein: Clark lernte Omar Deghayes kennen, der sechs Jahre in Guantánamo gefangen gehalten wurde. Doch daraus macht er keine eindimensionale Sozialreportage. Der Brite wählt einen anderen Zugang. Er erzählt die Aus- und Nachwirkungen dieser Haft über menschenleere Räume – und fügt noch eine weitere erzählerische Ebene ein (davon später). Jene Zelle in Camp 5 von Guantánamo ist ein gutes Beispiel. Es ist die typische karge Gefängniszelle, gleißend weiße Wände, auf der gemauerten Bettstatt sind nur eine dunkelblaue Matte und eine türkisfarbene Decke zu sehen, dahinter eine Plastikbox mit dem Essgeschirr sowie ein Stapel Plastikbecher, über einen Fensterschlitz strömt helles Licht hinein. Die US-Amerikaner haben sich sichtbar mit der Wirkung von Architektur beschäftigt – vor allem mit der peinigenden Wirkung von grellem Licht. Rätselhafte ästhetische Motive werden auch bei der Isolationskammer verfolgt. Eine vielleicht ein Quadratmeter messende Kabine, ein kleiner Hocker passt gerade hinein, die Tür weist Drahtgitter auf, und das alles ist in einem hellen Grün gestrichen. Andere Fotos verweisen auf die perfiden Utensilien von Kontrolle und Macht. Der Stuhl, auf dem die Gefangenen fixiert und künstlich ernährt wurden, oder der Metallring am Zellenboden, zu dem die Eisenketten führen, mit denen die Insassen gefesselt wurden.

Clark stellt diesen Fotografien andere Sujets gegenüber. Etwa die Unterkünfte der Bewacher und deren Freizeitanlagen (ein mittlerweile stillgelegtes Schwimmbad, ein Fußballplatz u.a.) sowie – und dies ist ungleich interessanter – Aufnahmen von Omars jetzigem Haus. Erstaunlich ist, dass dieses durchaus gefängnisähnliche Züge zeigt: die schmalen, hohen Fensterschlitze etwa, die Grundstücksmauer mit den spitzen Eisenzacken darauf oder der Garten mit den abschottenden Bretterwänden; stets verweigern Gardinen den Blick ins Freie, selbst im Kinderzimmer sind die Fenster durch Glasbausteine verstellt. Zufall – oder muss man das psychoanalytisch deuten?

Clarks Fotos sind nüchtern angelegt, streng komponiert und radikal auf nur wenige Objekte reduziert. Aber sie geben meist nicht viel her und lassen auch den Betrachter kalt. Ergreifender sind hingegen die Postkarten und Briefe, die im Buch abgedruckt sind. Sie erreichten Omar in Guantánamo, nachdem sein Anwalt den Fall öffentlich machte. Geschrieben wurden sie von mitfühlenden Kindern und Erwachsenen sowie engagierten Aktivisten und Journalisten aus vielen Teilen der Welt. Omar erhielt sie Jahre später: Kopiert, geschwärzt und mit dem Stempel der Zensoren versehen. Die Briefe waren es also, Omars Überlebensmittel.

Gelingt das Buch? Nein, denn man kann nur ahnen, welche Fotos darin zu sehen wären, wenn die US-amerikanischen Zensoren nicht eingegriffen hätten: Clark durfte in den Camps nur digital fotografieren, musste jede einzelne Aufnahme vorlegen und freigeben lassen, zahlreiche Fotos wurden gelöscht. So ist das Buch vor allem eines geworden: eine Studie über Zensur und die effiziente PR-Maschinerie der USA.

  • Titel: Guantanamo: If The Lights Goes Out
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Edmund Clark
  • Textautor: Edmund Clark, Omar Debhayes, Julian Stallabrass
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Dewi Lewis Publishing
  • Verlagsort: Stockport
  • Erscheinungsjahr:  2010
  • Sprache: englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 192
  • Bindung: Halbleinen
  • Preis: 45 Euro
  • ISBN: 978-1-904587-96-5

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