Im Innersten Rumäniens

Beatrice Mindas bemerkenswerte Serie „Innenwelt“

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Rumänien, das neueste EU-Mitglied, ist die Terra incognita Europas. Unsere Vorstellung davon ist 18 Jahre nach dem Ende des Ceausescu-Regimes von Unwissenheit und Vorurteilen geprägt. In einer Foto-Reportage über Rumänien würde man vielleicht wirkungsvolle Totalansichten von heruntergekommenen Plattenbauten erwarten, die Armut und die drangvolle Enge in Elendsvierteln an den Stadträndern oder das einfache Leben in der ländlichen Provinz.

Diese Klischees gerade nicht zu bedienen, sondern vielmehr den Blick auf etwas zu richten, was man in diesem Kontext gar nicht erwartet, darf schon mal als künstlerische Leistung verbucht werden. Die 1968 geborene Fotografin Beatrice Minda, Meisterschülerin bei Katharina Sieverding an der Berliner Hochschule für Künste, öffnet die Wahrnehmung, indem sie – das mag paradox erscheinen ? den Blickwinkel radikal begrenzt. Sie interessiert sich gerade nicht für wirkungsvolle Panoramen, sondern, ganz im Gegenteil, für die Refugien groß- und kleinbürgerlicher Behaglichkeit. „Innenwelt“ heißt ihre bemerkenswerte Serie von Interieurs, die in einem Dreischritt Privatsphären von Rumänen dokumentiert.

Im ersten Teil zeigt Minda „Gute Stuben“ in Rumänien im zweiten behagliche Interieurs von Exilrumänen in Frankreich und Deutschland. Zuletzt hat sie Elendsbehausungen von Rumänen am Stadtrand von Paris aufgesucht. Entstanden ist eine komplexe, sehr verdichtete Studie über Identität und Heimat – Heimat zu Hause, aber auch der Versuch, Heimat in der Fremde zu finden oder wenigstens die Erinnerung daran sichtbar zu konservieren.

Minda fotografiert in Farbe. Die Interieurs in Rumänien zeigen dunkle Stoffe oder gemusterte Papiertapeten, gebeizte Holzmöbel, Spitzendeckchen, große Betten mit schweren Decken und geknüpfte Teppiche. Die Räume atmen Behaglichkeit und wirken fast museal. Klar wird, dass diese bescheidene Bürgerlichkeit auch das kommunistische Regime überdauert hat. Dort müssen es Rückzugsorte und Bollwerke zugleich gewesen sein. Oftmals fotografiert Minda gegen das einströmende Tageslicht, was die Abschottung vom Draußen unterstreicht und sinnfällig macht. Fenster erscheinen als weiße Flecken des Nichts.

Die Wohnungen der Exilrumänen in Frankreich und Deutschland sind ähnlich eingerichtet, aber wirken doch nüchterner, wenn auch nicht weniger behaglich. An den Wänden hängen weniger Bilder, und wenn, dann vielleicht ein Kruzifix, die Reproduktion einer Ikone oder ein Fotoporträt.

Die Behausungen der Wanderarbeiter an den Pariser Stadträndern kennzeichnet, dass ihre Bewohner versuchen, mit aller Kraft die Würde zu bewahren. Sie sind von bescheidener Reinlichkeit, auffällig auch hier die schweren Decken und Wandbehänge. Minda ist, obwohl sie in Privatsphären eindringt, nicht aufdringlich, sie hat ein bemerkenswertes Gespür für Perspektiven und Lichtverteilung, die jedes Bild zu einer Überraschung machen. Es sind Räume der Stille. Die Bewohner fehlen. Und auch das gehört zum Konzept. Die Personen haben sich in den Innenwelten manifestiert: Totale Erinnerung. Die ganz individuellen Räume laden dazu ein sich vorzustellen, wer die Bewohner wohl sind, was sie machen oder was sie erlebt haben.

  • Titel: Innenwelt
  • Untertitel: Fotografien aus Rumänien und aus dem Exil
  • Bildautor: Beatrice Minda
  • Textautor: Ulrich Pohlmann, Richard Wagner
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2007
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 160
  • Bindung: Leinen
  • Preis: 39,80 Euro
  • ISBN: 9783775719698

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