Jan Svoboda

„Ich bin kein Fotograf“ – tatsächlich nicht?

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Kennen Sie Jan Zrzavy und Jirí John? Das sind Tschechen, herausragende Maler des 20. Jahrhunderts, und es ist letztlich der Nazi-Barbarei anzulasten, dass sie jenseits der Landesgrenzen unbekannt blieben. Den grossen tschechischen Fotografen erging es nicht anders. Hierzulande kennt man Josef Sudek, auch Josef Koudelka und, wer sehr aufmerksam war, hat vielleicht Viktor Kolár bemerkt. Funke, Medková oder Jasansky, das sind in wahrsten Sinne des Wortes „böhmische Dörfer“. Jan Svoboda allerdings war zu Zeiten der CSSR auch dort vor allem Insidern bekannt. Sein Werk war im Kontext des „sozialistischen Realismus“ nicht zu gebrauchen.

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Ein opulentes Katalogbuch, mit Unterstützung des tschechischen Kulturministeriums von der Mährischen Galerie in Brünn herausgegeben, gibt nun einen umfassenden Einblick in das Werk des Ausnahmekünstlers Jan Svoboda (1934 – 1990).

Seine Sujets sind Tische, Früchte, Steine, Bindfäden, Holzleisten, Lichteffekte, Blicke aus dem Fenster, auch Blumen oder einfach nur Papierfetzen. Es entstehen Stilleben, die man so nicht nennen möchte, da sie nicht allein im herkömmlichen Sinne die Dinge selbst präsentieren, sondern eine Art Ahnung wiedergeben, die der Betrachter über sie hegt. „Bilder, die nicht wiederkehren“ nennt Svoboda einige dieser Fotografien und deutet damit an, dass es ihm weit über die Abbildung hinaus darum geht, was Abbilden überhaupt ist. Es sind entfernte Anklänge an die Arbeit „Verifiche“ von Ugo Mulas, ebenfalls aus den 1970er-Jahren.

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Die Bildinhalte dienen vor allem der Kontemplation, es sind quasi durch Bilder gedachte Philosophien. Einige der genannten Bildvorlagen ähneln denen von Josef Sudek. Die beiden kannten und schätzten sich. Es gab 1983 eine gemeinsame Ausstellung. Svoboda ist der Kühlere, obwohl auch bei ihm Anflüge von Romantik – in Sudeks Werk allerdings intensiver – zu bemerken sind. 38 Jahre jünger als Sudek war Svoboda weitaus karger.

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Wenn die Tische bei Sudeks „Labyrinthen“ nur so überquellen, so genügt Svoboda in der Serie „Tische“ der Faltenwurf einer Tischdecke, um sich darin zu vertiefen. In der tschechischen Kunst gibt es viele Neigungen zum Surrealismus. Svobodas Bilder sind hingegen bei mancher Rätselhaftigkeit real, öffnen aber Felder, die man nur tastend betritt. Ein etwas unerklärliches Bild mit einem Kamm und einem Spiegel, in dem sich wiederum Unerklärliches zeigt, heisst „Vorgetäuschter Raum“ – also lass die Hoffnung fahren, Du könntest dem Künstler auf die Schliche kommen. Die Dinge selbst bleiben dabei deutlich. Verunklärung des Sichtbaren ist Svobodas Ziel nicht. Eine Fotografie zeigt acht dünne angespitzte Rundhölzer: „Stricknadeln“, was auch sonst? Auf einem anderen Bild sind wir in einem grell erleuchteten Raum, alle zwölf Fensterläden sind geöffnet – wie eine Kulisse für ein Beckett-Stück –, draussen ist es finster, pechschwarz; der Bildtitel lautet „Warten auf die Dämmerung“, und wir denken: da können wir lange warten. Konzeptualismus, Minimal Art, Medienkritik und wunderschöne Bilder, das ist alles in Svobodas Werk enthalten. Konzeptioneller Traditionalist wird er genannt, letzteres fast als Entschuldigung für die Schönheit seiner Bilder. Wahrscheinlich hat ihn das davor bewahrt, sich in Kopfgeburten zu verlieren.

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Die (englischen) Texte sind lesenswert. Aus unterschiedlichen Positionen werfen sechs Autoren Licht auf das Werk des aussergewöhnlichen Künstlers und Einzelgängers. Weil Svoboda mit Malern und Bildhauern kooperierte, erfährt man überdies ein wenig vom Kunstleben damals und heute in unserem Nachbarland.
Das Buch ist gut produziert und auf schönem Papier gedruckt. Allerdings mangelt es einigen Abbildungen etwas an Intensität, es fehlt die visuelle Präsenz, die Svobodas Fotografien eigen ist. Zu konstatieren ist, dass die Bilder im Buch ohnehin nur Reproduktionen der Originale sind. Svoboda hat seine Vergrösserungen mit selbstgekochtem Knochenleim auf Faserplatten aufgezogen. Ferner hat er auf der Rückseite mit dickem Draht eine Art Rahmen abgebracht, an dem das Bild aufgehängt werden konnte und das dadurch den gewünschten Abstand vom Hintergrund erhielt. So erhielten die Fotografien tatsächlich Objektcharakter. Svoboda hat wie kaum ein anderer Fotograf Bilder für die Wand gemacht und nur in zweiter Linie deren Abbildung in Büchern angestrebt. Er hat Bilder kreiert, was er mit dem Ausspruch „Ich bin kein Fotograf“ pointierte, der zu dem Titel der vorliegenden Monografie führte. Eine Absage an die Fotografie findet jedoch nicht statt.

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  • Titel: I‘m Not a Photographer
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Jan Svoboda
  • Textautor: Jaroslav Andel, Antonín Dufek, Katarina Masterová, Jirí Pátek, Petr Rezek, Pavel Vancát
  • Herausgeber: Rostislav Korycánek, Jirí Pátek
  • Gestalter: Robert V. Novák
  • Verlag: Moravian Gallery Brno - Moravská galerie v Brně
  • Verlagsort: Brno
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: englisch (eine tschechische Ausgabe ist ebenfalls erhältlich)
  • Format: 
  • Seitenzahl: 296
  • Bindung: Hardcover mit illustriertem Schutzumschlag (auseinandergefaltet ergibt sich ein zweiseitiges 46 x 66 cm-Plakat!)
  • Preis: 799 CZK
  • ISBN: 978-80-7027-291-6

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