Kampf den Kapitalisten

Die Fotos von Willy Ronis zieren Wandkalender und Postkarten. Wer ist der Mann dahinter?

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Links zu sein: Das war für den Fotografen Willy Ronis keine modische Attitude, sondern todernst gemeintes politisches Statement. In den frühen 1930er Jahren stand er damit keineswegs allein: Henri Cartier Bresson, Brassaï, Man Ray und André Kertész sind nur einige Künstler, die sich in linken Pariser Zirkeln bewegten. Und in diesem Dunstkreis wollte sich auch Ronis beruflich verorten. Die intellektuellen Fertigkeiten trainierte er sich tagtäglich an: Er besuchte Fotoausstellungen, war regelmäßig im Louvre zugegen, inhalierte philosophische Schriften. Schaut man sich die frühen Selbstporträts des Franzosen an, lässt sich dieser intellektuelle Furor durchaus erahnen. Doch Ronis hat keine Karriere als politischer Dokumentarist gemacht. Seit Jahrzehnten sieben Kuratoren aus seinem gewaltigen Werk von 95.000 Aufnahmen und Negativen stets die gleichen gefälligen, mitunter ins Süßliche kippende Motive aus.

Jüngstes Beispiel dafür ist eine Schau im Kunstmuseum Pablo Picasso Münster. Zwar wird diese als Retrospektive beworben, doch Markus Müller, Museumsdirektor und zugleich Kurator der Schau, will nur einen Ronis zeigen: den Chronisten der Grande Nation zwischen den 1930er und 1970er Jahren. Die Schau zeigt Fotos zu den Themengebieten Provence, Akte, Kinder, Paris, soziale Bewegungen und Belleville-Ménilmontant, dem ehemaligen Pariser Arbeiterviertel. Und genau nach diesem Prinzip ist auch der Ausstellungskatalog aufgebaut, der – so ist den Essays zu entnehmen – Beispielwerke der humanistischen Fotografie enthält. Was ist zu sehen?

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Straßenszenen meist, anekdotisch dargeboten, grafisch komponiert, konsequent schwarz-weiß gehalten. Manche Fotos erzählen einen charmanten Witz, andere sind kitschig, tendieren gar ins Kunstgewerbliche. Was ist humanistisch daran? Die Haltung des Fotografen. Willy Ronis, 1910 in Paris geboren und 2009 ebendort gestorben, begriff sich als Menschenfreund: „Ich habe nicht ein gemeines Foto gemacht. Ich wollte nie, dass Menschen lächerlich aussehen.” Und das war keineswegs eine Außenseiterposition. Auch Henri Cartier-Bresson und Robert Doisneau vertreten dieses humanistische Ethos. Die Falle dabei: das Abdriften in Sozialromantik. Der Kitsch. Das Belanglose.

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Auch Ronis ist in diese Falle getappt. Dabei es fing alles so vielversprechend an. Der Autodidakt dokumentiert 1936 die Demonstration der Front populaire, verkauft sein erstes Foto an die Zeitschrift »Regards«, kauft davon die erste Rolleiflex. Verfolgt weiterhin den Arbeiterkampf. Dokumentiert 1938 den Streik bei Citröen. Arbeitet nach dem Krieg mit allen wichtigen Fotomagazinen zusammen. Macht in den frühen 1950er Jahren Reportagen für »Life« über die Bergarbeiterstreiks in Lens und London. Tritt in die Agentur Rapho ein und wieder aus. Bekommt 1957 die Goldmedaille der Biennale Venedig, veröffentlicht Bücher. Wandelt auf den Spuren der Sozialistischen Internationale – in Deutschland, Niederlande, Ostfrankreich. Reist 1960 und 1967 als Reporter in die DDR. Bricht 1972 mit allem, zieht in die Provence. Dann kommt lange nichts. Dann folgen Retrospektiven, Buchprojekte. 2009 ist Ronis Ehrengast der 40. Rencontres d’Arles. Der Olymp.

Man möchte das sehen, das atemlose Hetzen von Arbeiterkampf zu Arbeiterkampf, die großen politischen Dokumentationen. Doch kein deutscher Museumsleiter hat sich auf diesen Teil des Werkes bislang konzentriert. Warum eigentlich nicht? Ronis, Mitglied der kommunistischen Partei, hat die Idee der radikalen Egalität auch skeptisch gesehen. Gerade deshalb sind seine Reportagen über die DDR so interessant. Es ist der kritische Blick eines politisch Interessierten auf den realen Sozialismus. Es sind Fotos von einem, der zwar seine Illusionen, nicht aber den Glauben an einen marxistisch gefärbten Humanismus verliert.

Ronis starb 2009, ein Anhänger Sarkozys ist er zeitlebens nicht geworden: „Ich werde mit dem Herzen links sterben, ganz wie ich gelebt habe.”

  • Titel: Willy Ronis
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Willy Ronis
  • Textautor: Alexander Gaude, Jean-Claude Gautrand, Markus Müller
  • Herausgeber: Markus Müller
  • Gestalter: Eva Dalg
  • Verlag: Kehrer
  • Verlagsort: Heidelberg, Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: deutsch, französisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 152
  • Bindung: Hardcover, illustrierter Schutzumschlag
  • Preis: 39,90 Euro
  • ISBN: 978-3-86828-394-5

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