Land für Kohle

Eine fotografische Langzeitbeobachtung von Jürgen Matschie

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Über 25 Jahre begleitete Jürgen Matschie (* 1953) den Abbau von Braunkohle im Bereich von Kraftwerken wie Boxdorf und Jänschwalde in der Lausitz und machte erst dann aus seinen Fotos ein Buch. Einige Dörfer waren akut von den Baggern bedroht, anderen wie Horno wurde der Boden unter den Häusern weggenommen und die Bewohner mussten in Neubausiedlungen umziehen. Das teilzerstörte Grötsch wurde vom Fotografen immer wieder aufgesucht. Anfangs konnte Matschie dort noch Dorffeste und lebendiges Brauchtum aufnehmen. Im Laufe der annähernd chronologisch geordneten Bildstrecke tauchen solche diese Motive immer seltener auf – als ob die sozialen Kontakte immer unpersönlicher und schwieriger wurden. 1990 rührte sich Protest gegen Devastierung und Umsiedlung, später dominieren die traurig-eindrucksvollen Sujets von verkarsteten Abraumhalden. Auch bei den düsteren Brikettfabriken und rauchenden Kraftwerksschloten spürte Matschie Veränderungen auf – alte Anlagen wurden abgerissen und zuweilen durch neue ersetzt. Noch scheint die Kohle unverzichtbar, die Umkrempelung der Landschaft ist der Preis, den man für den Strom aus der Steckdose zu zahlen hat. Das Buch behandelt zwar ein Gebiet in der ehemaligen DDR, woran auch die sorbischen Texte und Bildunterschriften erinnern, doch das Problem „Land für Kohle“ ist kein typisch ostdeutsches. Es ist eher ein Problem aller Landstriche, deren Boden ausbeutbar ist. Aber nur selten hat sich ein Fotograf so viel Zeit für ein solch komplexes Thema genommen.

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Die Textanthologie im Buch, bestehend aus Essays, Gedichte, Geschichten, ist weiß in schwarz gesetzt. Die Schwarzweißfotos haben viel weißen Raum auf ihren Seiten und wurden immer im vollen Format der Negative wiedergegeben. Das lässt sich an den schwarzen Rahmen der Bilder erkennen, anfangs von Kleinbild- und 6×6-Filmen, später auch von Panorama- und Großformatnegativen vergrößert.

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Matschie entschied sich für eine lakonische, distanzierte Bildsprache und eine nüchterne Buchgestaltung. Das erste und das letzte Bild zeigt jeweils ein Kraftwerk am Horizont – zwischen Kamera und dem Point de vue liegt am Anfang eine flache Heidelandschaft, am Ende ein gefluteter Tagebaukrater. Ob das Thema zwischen Zerstörung und volkswirtschaftlichen Interessen nicht eine wie auch immer plakativere, eindeutigere Haltung erfordert hätte? Wohl kaum. Denn vermutlich ist das kühle Präsentieren der Stück für Stück eindrucksvollen Bilddokumente am besten dazu geeignet, den Betrachtern einzuladen, sich selbst einen Eindruck vom Leben mit und von der Kohle zu verschaffen. Matschie jedenfalls wird die „Auseinandersetzung“ mit dem Bergbau in der Lausitz „noch eine Weile“ fortführen, weil er auch nach 25 Jahren noch zu „keinen neuen Erkenntnissen“ bei der Beurteilung des Problems gekommen sei (S.8). Genau diese Offenheit ist die große Stärke dieses Buchs.

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  • Titel: Brunica – Leben mit der Kohle
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Jürgen Matschie
  • Textautor: Volker Braun, Róža Domašcyna, Jurij Koch, Kito Lorenc und andere, Textauswahl Měrana Cušcyna
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Isa Brützke
  • Verlag: Domowina Verlag
  • Verlagsort: Bautzen
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: obersorbisch, niedersorbisch, deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 215
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 24,90 Euro
  • ISBN: 978-3-7420-2202-8

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