Joel Meyerowitz hat diese Geschichte schon tausendmal erzählt. Wie er, der schüchterne Art Director einer kleinen New Yorker Werbeagentur, im Jahr 1962 den großen Robert Frank bei einem Fotoshooting traf.Und wie diese Stunden sein Leben veränderten: „As I watched him work , I had a vision, that the world was moving and that you could intercepted the movement of the world with a camera. And it so exited me, that I immediatly quit my job and went out on the street with a borrow camera.“
Auf den Straßen von New York war Meyerowitz alles andere als allein. Eine Gruppe junger Fotografen, darunter Diane Arbus, Lee Friedlander, Tony Ray-Jones und Garry Winogrand, verschrieb sich ebenso leidenschaftlich der Fotografie. Es scheint eine goldene Generation gewesen zu sein. John Szarkowski förderte sie – nicht nur durch Ausstellungen im Museum of Modern Art. Golden blieben die Zeiten nicht für jeden: Arbus nahm sich 1971 das Leben, Ray-Jones starb ein Jahr später an Leukämie und Winogrand geriet in eine Schaffenskrise. Nur Friedlander und Meyerowitz gelang eine lange, erfolgreiche Karriere. Doch anders als Friedlander, der zurückgezogen lebt, ist Meyerowitz allgegenwärtig und mit seinen 76 Jahren bemerkenswert agil. Im NRW-Forum in Düsseldorf wird derzeit seine erste große Retrospektive in Europa gezeigt. Der Kurator Ralph Goertz hat die Ausstellung, in der rund 260 Fotos präsentiert werden, nahezu allein auf die Beine gestellt. Der Ausstellungskatalog zeigt die wichtigsten Serien, die in den Jahren 1963 bis 2013 entstanden sind.
Kritiker und Kunsthistoriker preisen Meyerowitz als einen der Pioniere der New Color Photography, zählen ihn zu den wichtigsten US-amerikanischen Fotografen der 1960er und 1970er Jahre. Und bis heute vergeht kein Tag, an dem Meyerowitz nicht auf den Auslöser drückt. Was hält ihn seit fünf Jahrzehnten am Laufen? „Every day, that I wake up and go out into a city street or the country side, I feel as if a hunger still burn inside of me. Something that says: Look at that face, look at the gesture someone makes, look at the way the light crawls across the land.“
Wie hungrig der junge Joel war, das zeigen die brillanten Straßenszenen – eingefangen in New York City in den Jahren 1963 bis 1976. Anders als Ray-Jones und Winogrand, mit denen er oft durch die Straßen zog und dabei lernte, schnelle Entscheidungen zu treffen, fotografierte Joel von Anfang an in Farbe. Und er fand früh seinen Stil, der vor allem in einem innovativen Umgang mit dem Bildaufbau bestand: So ließ er die Mitte des Bildraums frei, dehnte die bildimmanenten Teile über das gesamte Bild aus. Meyerowitz gelang mit diesen unkonventionellen Arrangements das lang Erhoffte: der Durchbruch als Künstler.
Wie sollte es weitergehen? Anstatt sich als Straßenfotograf selbst zu zitieren, entschied sich Meyerowitz dafür, methodisch experimentell zu bleiben. 1966 brach er zu einer zwölfmonatigen Reise nach Europa auf, aber er ließ sich in den Städten nicht durch die Straßen treiben, sondern fotografierte aus dem fahrenden Auto heraus. Diese zumeist schwarz-weiß gehaltenen Aufnahmen brachten ihm 1968 seine erste Einzelausstellung ein: im Museum of Modern Art.
Das fotografische Experiment trat 1976 in eine neue Phase. Meyerowitz zog – fasziniert von den ungewöhnlichen Farb- und Lichtstimmungen – auf die Halbinsel Cape Cod und wechselte zur Plattenkamera, einer vorgeblich veralteten Technologie. Für seine feinsinnigen Studien über das Wechselspiel des Lichts rund um die blaue Stunde erwies sich diese als ideal. Die Fachwelt feierte Meyerowitz – wieder einmal.
Es liegt noch nicht lange zurück, da gelang Meyerowitz eine weitere Überraschung: Er durfte 2001 als einziger Fotograf unmittelbar nach den Anschlägen auf den Ground Zero. Galeristen und selbst Regierungsbeamte hatten sich vergeblich um eine Genehmigung für ihn bemüht, aber die Polizisten vor Ort verstanden sein Anliegen sofort.
Müde, ausgebrannt oder gar gelangweilt von der Fotografie ist Meyerowitz bis heute nicht: „After 50 years of work I feel refreshed and ready to begin a new body of work.“ Der New Yorker hat gerade ein weiteres Genre für sich entdeckt: das Stillleben.
Anmerkung: Die Zitate beruhen auf einer Lecture, die Joel Meyerowitz 2013 in Mailand hielt. Diese kann als Video hier abgerufen werden.
- Titel: Joel Meyerowitz
- Untertitel: Retrospective
- Bildautor: Joel Meyerowitz
- Textautor: Jörg Sasse, Ralph Goertz, Joel Meyerowitz
- Herausgeber: Ralph Goertz
- Gestalter: Ralph Goertz / Ungermeyer, Berlin
- Verlag: Verlag der Buchhandlung Walther König
- Verlagsort: Köln
- Erscheinungsjahr: 2014
- Sprache: deutsch, englisch
- Format:
- Seitenzahl: 204
- Bindung: Softcover
- Preis: 34 Euro
- ISBN: 978-3-86335-588-3