Mondäner Schutthaufen

„Diva in Grau“ – Die grandiosen Halle-Fotografien von Helga Paris

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„Diva in grau“ – wenn ein Titel für ein Buch passt, so ist es dieser. Kaum kriegsversehrt, dennoch eine Ruinenstadt, ein mondäner Schutthaufen im Braunkohledunst: Das war Halle als Helga Paris in den 80er-Jahren mit der Kamera durch die Stadt zog und den Verfall der trostlos bröckelnden Fassaden dokumentierte. Natürlich war eine öffentliche Ausstellung dieser Serie ein Affront, obwohl die Fotografin nur festhielt, was ohnehin jeder Hallenser täglich vor Augen hatte. Aber darin erweist sich ja die Macht der Fotografie, indem sie den Fokus auf Wunden legt, diese wie durch ein Brennglas vergrößert und damit erst recht ins Bewusstsein rückt.

Die Schwarzweiß-Fotos mit ihren differenzierten Grau-Tönen potenzieren die Sinnbildhaftigkeit des Verfalls. Farbbilder hätten weit weniger geschmerzt. In dieser Wahl der Mittel liegt also die immanente, aber doch deutliche Anklage an die Adresse des Regimes. Häuser, Straßenzüge, Plätze, Läden, Unterführungen grau in grau sind das Eine. Das Andere sind die Menschen: Sie schauen meist nicht gerade glücklich in die Kamera, aber ihre Blicke und Posen manifestieren Würde, manchmal Trotz, bisweilen Resignation. So sehen sozialistische Kämpfer nun mal gar nicht aus.

Paris hatte 1986 die Ausstellung „Häuser und Gesichter. Halle 1983-85“ in der Galerie Marktschlösschen in Halle geplant. Kataloge und Plakate waren bereits gedruckt. Auf Anordnung der SED-Bezirksleitung wurde alles abgesagt. Kein Wunder: Aus Sicht der Funktionäre mussten diese Bilder geradezu verboten werden, zeigen sie doch nicht nur eine im Verfall begriffene Stadt, sondern vor allem eben auch die unüberbrückbare Distanz zwischen sozialistischen Heilsversprechen und der Erbärmlichkeit des real existierenden Sozialismus.

Das Material erschien dann erst nach der Wende, im Jahr 1991 unter dem Titel „Diva in Grau“, ergänzt durch Texte Hallenser Autoren. Der Band wurde für die Neuauflage 2006 in der Typographie, aber nicht in der Abfolge der Bilder verändert und lediglich durch ein Vorwort von Helmut Brade ergänzt. Brade hatte schon den legendären Katalog von 1986 eingeleitet. 20 Jahre später schreibt er: „Unsere Diva ist dick geworden. Grau ist sie gar nicht mehr. Sie ist raffiniert geschminkt und geliftet.“ Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Helga Paris? Fotos sind ein historisches Dokument über das Leben in der DDR. Warum aber schwingt bei der Betrachtung gleichwohl auch ein bisschen Wehmut mit?

  • Titel: Diva in Grau
  • Untertitel: Häuser und Gesichter in Halle
  • Bildautor: Helga Paris
  • Textautor: Helmut Brade (Vorwort) und andere
  • Herausgeber: Jörg Kowalski, Dagmar Winklhofer
  • Gestalter: 
  • Verlag: Mitteldeutscher Verlag
  • Verlagsort: Halle
  • Erscheinungsjahr: veränderte Neuauflage 2006 (Nachdruck 2007)
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 128
  • Bindung: Hardcover, Schutzumschlag
  • Preis: 24 Euro
  • ISBN: 9783898123617

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