Persönliche Erkenntnisse

Schaffensresümee aus 20 Jahren

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Die meisten Fotobücher haben ein deutliches Thema: Landschaften, Porträts, Straßenszenen usw. Wenn auch noch die Gestaltung „stimmt“, lassen sie sich einfach erschliessen und beurteilen. Vermehrt jedoch erscheinen Bücher, deren Inhalt Bilder sind, die vordringlich als künstlerische Äusserungen des Autors verstanden werden wollen. Immer noch sind es Fotografien, die der Realität verbunden sind, diese aber als Vehikel für den Transport von Stimmungen und der – sagen wir es ruhig – Seelenlage des Künstlers nutzen. Auch Kriterien und Topoi der Kunsttheorie sind verstärkt zu beachten.

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Aufbruch des Fotografen Heiko Krause aus Greifswald enthält Bilderlebnisse und zu Bildern verdichtete Erlebnisse, Fotografien mit eigenartigen oder reizvollen Aspekten der Wirklichkeit. So sind seine Kinder zu sehen, aber nicht als Porträt, sondern in Gesten und Situationen, die Kind-sein symbolisieren. Kleine Geschichten deuten sich an: ein Junge sitzt auf einem Blumenkübel und schaut in den dunklen Wald (Sehnsuchtsmotiv in der Kunstgeschichte), und auf den Folgeseiten zeigt sich, was er sieht, ein Hölzchen im Zaun, Hütten im Wald, danach verliert sich die Geschichte in dunklen, verwunschenen Orten. Doppelseiten mit mehreren Fotografien, auch auf zwei Ausklapptafeln, legen Querverbindungen nahe. Die (sehr dezent gesetzten) Bildunterschriften benennen Ort und Jahr. Das kann zuweilen etwas fehlleitend sein, denn dadurch begebe ich mich unwillkürlich auf den Pfad vordergründiger Wirklichkeitserkundung („Prora“ – was war das noch?).

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Bilder von Ruinen hatten für Künstler-Fotografen wie Cecil Beaton oder Herbert List immer schon einen hohen optischen Reiz jenseits ihres historischen Charakters. Eine abgerissene Tapete mutiert zu einem dramatischen Vorhang, der ein ungutes Schauspiel beschliesst. Für Heiko Krause sind diese Bilder eine Art Substrat seiner Arbeit aus den zurück liegenden zwanzig Jahren. Dass sie Spuren der Realität enthalten, ist sicher erwünscht. Dazu treten Bilder, die ich „Abstraktionen“ nenne, obwohl sie das im strengen kunstwissenschaftlichen Sinn nicht sind. Vielleicht könnte ich von surrealistischer Deutung sprechen. Haben doch die Surrealisten in den dokumentarisch aufgefassten Fotografien von Eugene Atget deren darüber hinaus weisenden Gehalt erkannt. Mehr noch gilt das für vorgefundene Absurditäten unserer Umwelt. Heiko Krause lässt sich jedoch nicht dazu hinreißen, seine Fotografien mit mystischer Bedeutungsschwere zu belasten. Er scheint mir eher einem Minimalismus zugewandt als surrealistischer Aufladung. Es bleiben Bilder, auf denen „nichts Besonderes“ zu sehen ist. Dennoch kommen einem diese Bilder „besonders“ vor, ich schaue hin und verliere mich in ihnen. Wie der Fotograf mir mitteilte, haben sie „eine wichtige Funktion in Bezug auf das Unverstandene, Kryptische, vielleicht Unheimliche unserer Zeit“. Durch Entkleidung von ihrem dokumentarischern Gehalt werden sie mit Deutungsmöglichkeiten versehen, unsere Rezeption wird ausgeweitet zum Geniessen von „Stille und Licht“, wie es im Begleitessay von Michael Soltau heisst.

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Das hervorragend produzierte Buch ist in der Reihe „Signifikante Signaturen“ der Ostdeutschen Sparkassenstiftung erschienen, die „künstlerische Vorhaben von Rang“ in den östlichen Bundesländern vorstellt, und es ist erfreulich preiswert.

 

  • Titel: Aufbruch
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Heiko Krause
  • Textautor: Michael Soltau
  • Herausgeber: Ostdeutsche Sparkassenstiftung
  • Gestalter: Simone Antonia Deutsch
  • Verlag: Sandstein Verlag
  • Verlagsort: Dresden
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 24 x17 cm
  • Seitenzahl: 60 (unpaginiert)
  • Bindung: Leinen mit montierter Abb.
  • Preis: 10 Euro
  • ISBN: 978-3-95498-584-5

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