Professionelle Projektkunst

Kai-Olaf Hesse an der Wiege der Titanic

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Broschur, Querformat, griffiges Papier, ausklappbare Umschlagseiten, ansprechendes Layout, technisch saubere Abbildungen mit zusätzlicher Übersicht am Ende, informative Texte, editorische Vollständigkeit, auch dass die Seiten mit den Abbildungen unpaginiert bleiben, vermisst man nicht wirklich. So gesehen ist der Fotoband „Topography of the Titanic“ mit Fotos von Kai-Olaf Hesse und Texten von Ian Walker, John Stathatos und David Bate rundum gelungen.

Topographie der Titanic zeigt nicht etwa den Ort ihres Endes, man bleibt von Bildern des Wracks auf tiefem Meeresgrund verschont, sondern sieht, weit weniger spektakulär, den Ort ihres Anfangs: Belfast, die Stadt, die endlich aus den negativen Schlagzeilen verschwunden ist und positive Aufmerksamkeit verdient. Vor allem das alte Industriegebiet auf Queen´s Island und das Hafen-Areal werden in 39 Farbaufnahmen präsentiert, die, wie in einem der drei Einführungstexte zu lesen ist, den Spuren nachgehen, die das vielleicht berühmteste Schiff der Welt am Ort seiner Entstehung hinterlassen hat. Darunter befinden sich Abbildungen von rostigen Relikten der Helling, auf der die Titanic entstand (das englische slipway ist griffiger), des verwahrlosten Trockendocks, in dem sie ausgerüstet wurde, von vermauerten Toren, die einst zur traditionsreichen Werft von Harland & Wolff führten, vom heute gähnend leeren Konstruktionsbüro, in dem die Titanic, ihr Schwesterschiff Olympic und all die anderen zu ihrer Zeit entworfen wurden oder einem einsamen Rettungsring an seinem Pfosten hinter einer trostlosen Absperrung vor einem verlassenen Kai, – viel Gerümpel allenthalben. Von Neuer Objektivität wird bei den Fotos gesprochen, wegen der Abwesenheit von Personen, der schattenarmen Lichtführung oder dem Interesse an Industrieobjekten werden sie in die Nähe zur Becher-Schule gerückt, aber eher noch zu Atget und der Technik des leeren Dokuments, Roland Barthes wird erwähnt, von modernen Ruinen ist die Rede und von der geisterhaften Anwesenheit der Vergangenheit in der Gegenwart.

Diesen Farbfotos werden kontrastierend zwölf s/w-Fotos aus der Zeit der Erbauung gegenüber gestellt: Das stolze Schiff kurz nach dem Stapellauf, die Arbeiter, die erhobenen Hauptes ihre Werft verlassen, die belebte Royal Avenue Belfast 1912, das geschäftige Treiben im Konstruktionsbüro, Olympic und Titanic traulich nebeneinander im Dock, Lord Pirrie, Direktor von Harland & Wolff und J. Bruce Ismay, Geschäftsführer der White Star Line brüderlich bei der Werftinspektion, – man erhält den Eindruck einer grandiosen Zeit, der gegenüber die Gegenwart blass, leer und hoffnungslos erscheint.

Die totale Abwesenheit eines Gegenstands beschwört ein Gefühl der Präsenz, heißt es im Text und diese paradoxiale Erkenntnis lässt sich durchaus auch auf den Fotoband selbst beziehen. Was ist also abwesend und dennoch zu spüren? 1. Die Gegenüberstellung der s/w- und der Farbfotos zeichnet eine Vergangenheit, die unvermeidlich zur historisch fragwürdigen Glorifizierung gerät, selbst wenn die Texte versuchen, diesen Eindruck zu entkräften. 2. Das Kunstprojekt, das dabei entstanden ist, folgt getreu den Richtlinien des British Arts Council (bzw. des Arts Council of Northern Ireland) zur Förderung strukturschwacher Regionen, – kulturpolitisch vielleicht vorbildlich, künstlerisch fragwürdig. 3. Zum Thema hat Hans Magnus Enzensberger bereits (mehr oder weniger) abschließende Worte gefunden, denn im sechzehnten Gesang von „Der Untergang der Titanic, eine Komödie“ heißt es unter anderem: „Er ist Kunst. Er schafft Arbeitsplätze. Er geht uns allmählich auf die Nerven. Er ist gesetzlich geschützt. Er kommt wie gerufen. Er klappt. Er ist ein Schauspiel von atemberaubender Schönheit. Er sollte den Verantwortlichen zu denken geben. Er ist auch nicht mehr das, was er einmal war.“

 

  • Titel: Topography of the Titanic
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Kai-Olaf Hesse
  • Textautor: Ian Walker, John Stathatos, David Bate
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Kai-Olaf Hesse
  • Verlag: ex pose
  • Verlagsort: Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2007
  • Sprache: englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 80
  • Bindung: illustrierte Klappenbroschur
  • Preis: 29,80 Euro
  • ISBN: 9783925935572

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