Mannheim und das Morgengrauen des Bewusstseins

Mannheim ist eine seltsame Stadt, ein Melting-Pot der Kulturen und Ethnien, drückend eng, laut, hässlich, eingeschnürt von Autobahnen und Schnellstraßen, Kasernen und Einkaufszentren. Und im Sommer, wenn der Rhein die heiße Luft aus dem Mittelmeerraum hinaufschaufelt, ist Mannheim sehr, sehr stickig. Nichts für Asthmatiker und Deprimierte, aber ganz bestimmt ein Eldorado für Fotografen.

Aber was macht Pino Bertelli? Er läuft durch Mannheim und fotografiert die Leute! „Straßenfotografie“ nennt er das und tut in seinem verschwurbelten Essay so, als wäre es eine Großtat von wahrhaft philosophischen Dimensionen. Bertellis Porträts sind gestellt und langweilig. Mit der traditionellen, immer den Zufall herausfordernden, sich in ästhetisch in Grenzsituationen bewegenden Straßenfotografie hat das nichts zu tun.

Bertelli scheitert kläglich an seinen eigenen Ansprüchen, wenn er schreibt: „Es geht nicht darum, einen bestimmten Menschen abzubilden, sondern diesen Menschen und sein ganz bestimmtes In-der-Welt-Sein zu fotografieren.“ Wie meint er das? Mit Mannheim und den Mannheimern hat das nichts zu tun. Er hätte seine Fotos hätten auch in Saarbrücken, Bottrop oder Ludwigshafen machen können. Dieses Mannheim ist überall. Unter den Porträts findet man Bildunterschriften wie: „Die Zeichnung, der Raum, die Form“, „Die Gleichheit der Liebe“, „Die Kunst des Druckens“ oder „Wo unsere Flügel sich berühren, wo unsere Herzen sich duzen“. Das soll poetisch sein, ist aber nur kitschig. Nochmals O-Ton Bertelli: „Die Sprache der Fotografie muss sich der Zähmungsversuche der Herrschenden entziehen und zum Morgengrauen eines neuen menschlichen Bewussteins beitragen.“ Fotografie als Mittel im Klassenkampf? Vielleicht wird die Mannheimer Stadtverwaltung ihren Beitrag zu dieser notwendigen Bewusstseinsveränderung leisten, indem sie das Buch den hohen Gästen bei offiziellen Empfängen als schmuckes Präsent überreicht.