Schlafende Häuser und Bungalows mit Zungen

Peter Pillers Eigenheimarchiv

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Der Traum vom Traumhaus wird, wenn alle ihn träumen, zum Albtraum. In dem Künstlerbuch „Von Erde schöner“ richtet Peter Piller den Blick scheinbar spielerisch und in verblüffender Weise auf die in Mitteleuropa seit Jahrzehnten grassierende Eigenheimpest. Piller hat das Archiv eines Luftbildfotografen vor dem Schredder bewahrt und dann, wie es seine Methode ist, mit dem Archivbestand künstlerisch gearbeitet. Mit Hilfe eines konzeptuellen Kunstkniffs, nämlich der Neuordnung des vorhandenen Archivs, schafft Piller quasi im Handumdrehen ein ernstzunehmendes und brandaktuelles, bis auf wenige sachlich informierende Zeilen auf der vorletzten Seite textfreies künstlerisches Statement.

Die farbigen Luftbilder sind auf einzelne Häuser fokussiert und wurden seinerzeit von Vertretern mühsam und auf Provisionsbasis an die Hausbesitzer verkauft. Die dargestellten Eigenheime stehen fast immer unter ihresgleichen in Neubaugebieten. Piller interessieren die gleichförmigen Typenarchitekturen und die Ordnungsprinzipien der umgegebenden Grün- und Infrastrukturflächen durchaus, aber erst in zweiter Linie. Das Auge des Künstlers nahm bei der Durchsicht der monotonen Häuseransammlung zunächst andere Besonderheiten wahr: bunte Betten, die zum Lüften aus den Fenstern gehängt wurden (Serie „Zungen“), Autowaschplätze, deren Wasserfahnen den Asphalt dunkel färbten, angrenzende Friedhöfe und Sportplätze, kleine, in den Gärten aufgebaute Zelte („Behelfsheime“), Plattenwege, die das Grün der Abstandsflächen zwischen den Häusern strukturieren („Pfade“), Häuser, die aufgrund ihrer heruntergelassenen Jalousien wie ausgestorben wirken („Schlafende Häuser“), Leute, die seinerzeit bei der Aufnahme der Luftbilder draußen waren und interessiert zu dem Fluggerät des Fotografen aufschauen („Voyeur“), kurios geformte Wendehämmer, blaue Schwimmbadaugen („Pool“). Piller gruppierte das Luftbildarchiv nach den von ihm entdeckten Motivreihen um, vergab neue Inventarnummern, die die Zugehörigkeit zu einer Serie offenbaren und packte die schönsten Beispiele in das vorliegende Buch. Verkratzte, fehlerhaft entwickelte „Schmutzige Wolken“ und oft häuserleere, rein landschaftliche „Verbindungsbilder“, also in Hinsicht auf die damalige Vermarktung ungeeignete Ausschussaufnahmen, dienen bei Abwesenheit des Hauptuntersuchungsobjektes als optische Erholungspausen und ironisieren Pillers künstlerisches Konzept, das ohnehin nicht mit dem Übereifer des Moralisten vorgetragen wird.

Es steckt mehr als grotesker Witz in diesem Buch. Nach wenigen Seiten bleibt einem das Lachen im Halse stecken, aus Spaß wird schnell Ernst. Pillers Ordnungsprinzip offenbart viel mehr von der Unwirtlichkeit der Neubaugebiete, als es tausendzeilige, larmoyante Aufrufe der Architektenschaft vermöchten, die Armeen von Lanzen zugunsten der allseits vermissten, sogenannten guten Architektur brechen. Die bloße Umstellung von Archivgut wirkt subtiler als alle gut gemeinten Appelle, zum Beispiel statt neu zu bauen lieber in die verdichteten, aber langsam ausblutenden Siedlungskerne zu investieren.

Wenn man kunsthistorisch argumentieren wollte, würde man Pillers Arbeiten mit den Luftaufnahmen amerikanischer Suburbs vergleichen, wie sie Joe Deal 1975 in der einflussreichen Ausstellung „New Topographics“ zeigte oder sie in Bezug zu den typologischen Reihen der Bechers setzen oder sie in die Tradition von berühmten, in Buchform veröffentlichten Serien von Robert Adams, Lewis Baltz und Bill Owens stellen. Pillers Rohmaterial stammt aus der gleichen Epoche, nämlich den 1970er- und 80er-Jahren. Bei den Hausbesitzern als damaligen Käufern dürften die Farbabzüge längst vergessen oder gnädig verblichen sein. Nicht so bei Piller. Sein aus bunter fotografischer Konsumware komponiertes Buch kann in konzeptueller Hinsicht locker mit den Meisterwerken der New Topographers mithalten. Es ist dabei sogar um einiges unterhaltsamer als mancher der strengen, ernsten und in feinstem Schwarzweiß gehaltenen Klassiker.

Die künstlerische Diagnose sitzt, eine Therapie scheint freilich aussichtslos. Aber solange eine ästhetische Krankheit so trefflich diagnostiziert wird wie von Doktor Piller, kann man dem Schrecken doch noch etwas Positives abgewinnen.

  • Titel: Von Erde schöner
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Peter Piller
  • Textautor: 
  • Herausgeber: Christoph Keller
  • Gestalter: Christoph Keller
  • Verlag: Revolver Archiv für aktuelle Kunst
  • Verlagsort: Frankfurt
  • Erscheinungsjahr: 2004
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 320
  • Bindung: Leinen, Schutzumschlag
  • Preis: 68 Euro
  • ISBN: 3937577998

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