Stadtbilder

Die DDR im Fokus von Ulrich Wüst

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Ulrich Wüst (* 1949) ist seit der documenta 14 kein Geheimtipp mehr. Er war es eigentlich auch schon vorher nicht, denn seine Fotos von Städten und Landschaften aus der DDR der 1980er-Jahre standen und stehen für eine von der Staatspropaganda unabhängige, eigenständige Sicht auf die Verhältnisse im anderen Deutschland. Schlicht Stadtbilder hat er seine große Serie mit Fotos aus Orten in der DDR genannt: lichtdurchflutet, menschenleer, mit skurrilen Details, irgendwie pendelnd zwischen exakt-dokumentarisch und verträumt-magisch, mal surreal, mal höchst real, immer lakonisch, nie formalistisch, eben typisch Wüst. Seine Bildsprache scheint von den New Topographics angeregt worden zu sein, anhand der Plattenbauten, verfallener Altbausubstanz und anderer Details lassen sich die Motive aber schnell in der DDR verorten.

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Wüst war einer der wenigen Fotokünstler, die in der ansonsten streng reglementierten DDR eine unabhängige, wenn man genau hinschaute kritische Haltung einnahmen und damit zugleich in einem offiziellen Medium wie der Zeitschrift Fotografie vorkommen konnten. Das erste sechsseitige Portfolio über seine Arbeiten erschien dort im Oktober 1980 unter der Überschrift „Dinge mit Spuren“. Was Wolfgang Kil damals schrieb, trifft noch heute zu: gebaute Alltagsware werde „in den Rang des Merk-Würdigen erhoben. Fotografie dient so weniger dem Wiedererkennen als dem Erkennen…“, wobei der Schluss, den der Textautor damals zog, nämlich dass der Fotograf Wüst zum Vermittler werde „zwischen den scheinbar stummen Gegenständen und einer großen Zahl von Betrachtern, denen für ein freundlicheres Verhältnis zu ihrer eigenen Umwelt oftmals nur die Anregung zu genauerem Hinsehen fehlt“, eine Interpretation gewesen sein mag, die auf einem erwartbar zu vermittelnden positiven Bild von Architektur und Stadträumen der DDR beruhte. Dass man die in Wüsts Fotos durchaus spürbare mangelnde Bauunterhaltung und den klotzigen Brutalismus des sozialistischen Bauens auch kritisch sehen konnte (wenn man es denn wollte) wird im Rückblick auf die Bildauswahl im neuen Buch Stadtbilder deutlich. Immerhin ein Motiv aus dem Fotografie-Portfolio von 1980 hat es auch in die jüngste Bildauswahl geschafft, eine Ansicht aus Bitterfeld von 1979, ein weiteres von den neun Fotos hätte es auch noch schaffen können und ein drittes nutzt der Fotograf heute als Begrüßungsbild seiner Homepage. Etwa die Hälfte der jetzt präsentierten Motive wurden für das Buch erstmals abgezogen, die Zeit scheint damals noch nicht reif dafür gewesen zu sein.

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Das neue Buch wurde in Anlehnung an die von Wüst zuweilen bevorzugte Präsentationsform des Leporellos ausschließlich mit Querformaten ausgestattet. Der zu Plakatgröße ausfaltbare Schutzumschlag zeigt das noch deutlicher, weil auf der Rückseite alle Motive aus dem Buch (inkl. der Vakatseiten) auf einen Blick zu sehen sind. Die betonte sachliche Buchgestaltung unterstützt dezent den Genuss dieser visuellen Reise in die späte DDR. Wüsts Bilddokumente aus dieser Zeit legten die Grundlage für die Wandlung eines, wenn man die frühen Publikationen zugrunde legt, in seinen Mitteln spürbar noch unsicheren, fotografierenden Stadtplaners zum heutigen documenta-Künstler. Im Rückblick wird deutlich: Er hatte schon damals die richtigen Bilder im Kasten…

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  • Titel: Stadtbilder / Cityscapes 1979-1985
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Ulrich Wüst 

  • Textautor: Matthias Flügge, Interview von Katia Reich mit Ulrich Wüst

  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Lamm & Kirch
  • Verlag: Hartmann Books
  • Verlagsort: Stuttgart
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 25,8 x 20 cm
  • Seitenzahl: 156
  • Bindung: Hardcover mit „amerikanischem Schutzumschlag
“
  • Preis: 40 Euro, Vorzugsausgabe (Auflage 25+3) 450 Euro
  • ISBN: 978-3-96070-079-1

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