Stillleben BRD

Opas klein Häuschen als Objekt der Fotokunst

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Das Team einer Kunstmuseums begeisterte sich für das Fotoprojekt von Christian Werner über das Haus des 2014 verstorbenen Großvaters des mit dem Fotografen befreundeten Gestalters Mario Biehs. Einen Tag lang lichtete Werner die Innenräume des Wohnhauses aus den sechziger Jahren in Delbrück ab. Es entstand eine Serie überwiegend mit frontalem Blitzlicht ausgeleuchteter Stillleben: von Wandschmuck über den Inhalt der Speisekammer bis hin zu Betten, Partykeller, Mobiliar und sonstigen intimen Details des Verharrens bei einer irgendwann einmal gefundenen Einrichtungslösung für Küche, Zimmer, Bad.

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Ob dieser Hausstand prototypisch für die BRD ist, wie zwischen den Zeilen angedeutet wird, ob man die Arbeit des Fotografen unbedingt mit niederländischen Stilllebenmalern des 17. Jahrhunderts in Vergleich setzen muss, ob man sich über die typische Ästhetik des Fotografierens mit Blitzlicht wundert, die ja Glanzpunkte setzt, wo sonst keine wären, und Dinge in zuweilen brachialer Weise aus dem Dunkel herauslöst, kann man als Betrachter als hilfreich zur Kenntnis nehmen oder als Gedöns abtun. Sicher ist, dass die vom Fotografen gewählte Ästhetik ganz pragmatisch dem Umstand der Aufnahmen geschuldet war, nämlich schnell und effektiv zu arbeiten, bevor der Haushaltsauflöser vor der Tür stand. Die Aufnahmetechnik passt freilich gut zum Sujet. Sicher, man kann dieses als typisch BRD interpretieren, aber nur, weil man so ein Projekt in der Nähe von Paderborn durchgezogen hat, wird es nicht repräsentativer für ein ganzen Land. Es ist der Blick eines Fotografen auf einen (von hundertausenden) wie eingefroren wirkenden Haushalt älterer Personen, nicht mehr und nicht weniger. Das Aufladen der fotografierten Motive mit Bedeutung war der Job der Kunsthistoriker, Museumsleute und sonstigen beteiligten Schreiber und es freut den Rezensenten für Werner, dass sich diese für das Fotoprojekt begeistern ließen und ihm eine Ausstellung im Kunstpalais Erlangen ausrichteten, die dann wiederum das Buch ermöglichte. Man muss im Übrigen nicht bis zu den alten Niederländern zurückgehen; die Interieurfotografie einschließlich der Bestandsaufnahme ganzer Haushalte ist nicht neu; erst 2012 erschien dazu im gleichen Verlag die beeindruckende, leider schon vergriffene Arbeit Ein Leben von Knut Wolfgang Maron über das Verlöschen seiner Mutter, ein Buch, das in jeder Hinsicht emotioneller und ergreifender angelegt ist als die oberflächliche, distanzierte Ästhetik von Werner.

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Das Buch Stillleben BRD leidet ein wenig unter dem Mangel, dass  einige Motive über den Bund gehen und dabei wichtige, in die Mitte der querformatigen Kompositionen gesetzte Elemente mehr oder weniger verloren zu gehen drohen. Das Fotobuch will also durch beherztes Aufbiegen erarbeitet werden…

Ein Leben von Knut Wolfang Maron, 2012

Knut Wolfgang Maron, Ein Leben, 2012

  • Titel: Stillleben BRD
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Christian Werner
  • Textautor: Philipp Albers, Paulina Czienskowski, Timo Feldhaus, Philipp Felsch, Nina Franz, Holm Friebe, Alexandra Heimes, Rafael Horzon, Oliver Kohlmann, Markus Krajewski, Jan Küveler, Harun Maye, Heike Melba-Fendel, Milena Mercer, Antonia von Schöning, Clemens Niedenthal, Cornelius Reiber, Frédéric Schwilden, Anne Waak
  • Herausgeber: Amely Deiss
  • Gestalter: Mario Biehs
  • Verlag: Kerber
  • Verlagsort: Bielefeld
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 186
  • Bindung: Leinen mit montierter Abb.
  • Preis: 35 Euro
  • ISBN: 978-3-7356-0203-9
  • Titel: Ein Leben
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Knut Wolfgang Maron
  • Textautor: Vorwort Dirk Blübaum/Kai Uwe Schierz/Beate Reese, Texte Gerhard Graulich, Laurent Jouannaud, Andreas Steffens und vom Bildautor
  • Herausgeber: Dirk Blübaum, Gerhard Graulich
  • Gestalter: Volker Heinze
  • Verlag: Kerber
  • Verlagsort: Bielefeld
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 212 (unpaginiert)
  • Bindung: illustriertes Hardcover, Gummibandverschluss
  • Preis: (vergriffen)
  • ISBN: 978-3-86678-737-7

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