Den Einband des Buches zieren drei weiße, wie mit Fingerfarben aufgetragene Striche. Sonst kennt man so etwas als Gesichtsbemalung aus Indianerfilmen, wenn man sich für den nächsten Kriegszug rüstete. Was also bedeutet das? Man kommt beim Öffnen des Buches schnell auf die Lösung des rätselhaften Umschlags: Silke Helmerdig hat Markierungen und andere grafische Zeichen fotografiert, wie sie sich überall auf den Straßen und Gehwegen finden. Kein Kriegspfad also, sondern die Fußgängerzone oder eine Bundesstraße mit Pfeilen, Buchstaben, Reifenabdrücken, Kaugummiresten, Ölflecken. Farbspuren, die wie ein Totenkopf wirken, zuweilen auch Zahlen oder Buchstaben, die sich zu Worten verdichten: Liebe, Ende. Manches wirkt archaisch wie steinzeitliche Höhlenmalerei, nur dass man sich heute nicht mehr in Höhlen, sondern auf der Straße aufhält und sich im Auto geborgen fühlt. So gesehen hat sich die Menschheit kaum verändert, wenn sie an wichtigen Plätzen ihre Spuren hinterlässt.
Das Buch irrtiert durch die fahle Farbigkeit der randabfallend auf tiefmattes Papier gedruckten Fotos, es beeindruckt durch die Kombination und Sequenzierung der einzelnen Motive. Die graue Pappe des äußeren Einbands mit den von Hand aufgetragenen minimalistischen Farbstreifen nimmt das Grau des Asphalts auf und das Thema vorweg. Die Form folgt dem Inhalt, nicht wie so oft ist es umgekehrt. Ein kleines, lakonisches, unterhaltsames, in allen Belangen perfektes, textfreies Fotobuch, das am Beispiel von unbeachteten Oberflächen in die Tiefe geht und dabei sehr viel über den inneren Zustand unserer Zivilisation verrät.
- Titel: Pavement Drawings
- Untertitel: edition 365_15
- Bildautor: Silke Helmerdig
- Textautor:
- Herausgeber:
- Gestalter: Kai-Olaf Hesse
- Verlag: ex pose
- Verlagsort: Berlin
- Erscheinungsjahr: 2012
- Sprache: deutsch
- Format:
- Seitenzahl: 32
- Bindung: Hardcover
- Preis: 20 Euro
- ISBN: 978-3-925935-70-1
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