Hans-Christian Schink ist weit gereist, um seine Fotoprojekte zu realisieren. Aber musste das immer sein? Nein, sein 2004 publiziertes Autobahnprojekt oder Hinterland von 2020 bewiesen schon, dass das nicht sein musste und sein neuestes Werk bekräftigt, dass man seine Motive durchaus vor der Haustür finden kann. Im Fall von Unter Wasser mussten nur kurze Distanzen bis zum nächsten Weiher oder Bachlauf zurückgelegt werden, dann wurde eine vom Bewuchs her lohnenswert aussehende Stelle ausgesucht, die wasserfeste Kamera eingetaucht und schließlich ausgelöst. Das Making-of zeigt den Fotografen während seines „Teichsommers“ ** mit Luftmatratze, Wathose und von Algen eingegrünter Kamera, aber nicht mit einer Taucherausrüstung. Warum auch?
Die mit simpler Methode entstandenen Bilder der Wasserpflanzen verblüffen in ihren Schattierungen von grün, blau und braun, in den mal verschlungenen, mal geordnet wirkenden Strukturen oder im Spiel des Sonnenlichts an Halmen, Blättern und Luftbläschen. Schinks Kamera erschließt eine bislang von der Kunst wenig beachtete Welt der Teiche und Tümpel – die Ästhetik ergibt sich nicht durch exotische Gewässer mit knallbunten Korallen und gefährlichen Fischen, sondern durch die bewusst den technischen und logistischen Aufwand scheuende Konzeption und selbstverständlich durch eine kluge und konsequente Auswahl. Die schönen Bilder sind tauglich für die Portfolios von Sammlern und die Wände von Museen, aber sie enthalten auch eine ambivalente Botschaft: Sind die gezeigten Pflanzen nun Vertreter bedrohter Arten und man darf froh sein, trotz allen Umweltproblemen solche Heile-Welt-Biotope noch zu haben? Oder gehört das womöglich invasive Grünzeug hier gar nicht hin, überwuchert die endemische Flora und nimmt den tierischen Mitbewohnern der Gewässer die Lebensgrundlage?
Schink ist zu einer Anwendung der Fotografie zurückgekehrt, die schon immer fasziniert hat: die Erweiterung des menschlichen Sehvermögens durch die Kamera, die hier dem „kontrollierten Zufall“ (Zitat Schink) ausgesetzt wurde. *** Das ist grundsätzlich nicht neu, aber sympathisch – und die Ergebnisse seiner Expeditionen in die heimische Wasserwelt sind ebenso sehenswert wie das daraus entstandene, in Produktion und Gestaltung perfekt auf das Thema abgestimmte Buch, das nicht nur mit den doppelseitig wiedergegebenen Farbmotiven, sondern auch mit einigen Klapptafeln aufwartet, die je ein nüchternes Schwarzweißfoto der aufgesuchten Biotope nebst kurzen Erläuterungen und damit einen Hauch von Sachbuchatmosphäre ins Spiel bringen. Aber das Ganze ist ein Produkt der Kunst, nicht der Biologie, was man nicht zuletzt an dem raffiniert gefalteten, doppelseitig bedruckten Schutzumschlag sieht, der sich zu Postergröße ausklappen lässt und andeutet, welche Wirkung die Motive im großen Museumsformat haben…
* Ich habe mir erlaubt, diesen Titel als Zitat aus folgendem Ratgeber für Amateurfotografen zu verwenden: Anton Kutter, Nur ein Tümpel – Kamerajagd im unberührten Naturschutzgebiet, Berlin: Otto Elsner, 1940 (Fotofreund Schriftenreihe, Bd. 5).
** Helmut Drechslers berühmtes, komplett in Farbe fotografiertes Buch Teichsommer (Radebeul/Berlin: Neumann Verlag,1949) kommt mir ebenfalls in den Sinn, auch wenn Drechslers Kamera immer oberhalb des Wasserspiegels zum Einsatz kam und vor allem auf die Fauna konzentriert ist.
*** Die Methode faszinierte auch Stephen Gill: Vögel gingen zufällig in eine Kamerafalle, der Künstler machte daraus ein schönes und erfolgreiches Fotobuch (The Pillar, Nobody Books, 2019).
- Titel: Unter Wasser
- Untertitel:
- Bildautor: Hans-Christian Schink
- Textautor: Hans-Christian Schink
- Herausgeber:
- Gestalter: Hannah Feldmeier
- Verlag: Hartmann Books
- Verlagsort: Stuttgart
- Erscheinungsjahr: 2022
- Sprache: deutsch, englisch
- Format: 32 x 24,5 cm
- Seitenzahl: 122 (nicht paginiert)
- Bindung: Hardcover, Buchblock als Schweizer Broschur, Amerikanischer Schutzumschlag
- Preis: 58 Euro (Subskriptionspreis bis 10.7.2022: 49 Euro, Vorzugsausgabe mit einem Print 580 oder 680 Euro)
- ISBN: 978-3-96070-081-4