Absurde Bettenburgen

Sebastian Schels und Olaf Unverzart fotografieren alpine Ferienanlagen

01_Ete_Cover_k

Kein Fotobuch hat in den letzten Monaten (oder gar Jahren?) so viel Aufsehen erregt wie Ischgl von Lois Hechenblaikner. Das wäre vielleicht anders gewesen, wäre die Partymeile in Tirol nicht der erste europäische Corona-Hot-Spot gewesen, aber das spricht ja nicht gegen die künstlerische Qualität dieser verstörenden Bildstrecke.

Während Hechenblaikners Buch schrill und laut ist, kommt Été von Sebastian Schels und Olaf Unverzart auf geradezu leisen Pfoten daher. Beide Bücher haben jedoch das gleiche Thema: den alpinen Massentourismus. Wo Hechenblaikner die wüsten Feier-Exzesse der Enthemmten ins Visier nimmt, zeigen Schels/Unverzart die nicht weniger grotesken Auswüchse hochalpiner Hotelarchitektur, jedoch nicht im Winter, sondern, und sehr viel wirksamer, in der sommerlichen Zwischensaison, wo sich kaum Urlauber dorthin verirren. Dadurch wirken diese absurden Bettenburgen – alle in den französischen Alpen aufgenommen – besonders deplatziert und gespenstisch in ihrer monumentalen Unverfrorenheit und schamlosen Hässlichkeit. Gigantische Wohntürme auf engstem Raum, ineinander verschachtelt und konzentriert, in die Jahre gekommen, mit rissigem Sichtbeton, verwitternden Holzverschalungen und abplatzenden Fassadenfarben. So sehen die heruntergekommenen Wohnanlagen der Vorstädte aus, in denen nur die wenigsten leben wollen bzw. jene Vielen leben müssen, die sich nichts Besseres leisten können.

02_Ete_k

04_Ete_k

Wer in diesen Ferienresorts für viel Geld Urlaub macht, wendet sich zu Hause wahrscheinlich mit Grausen ab von den Brennpunkten der Vorstädte, den Banlieus, die eigentlich genauso aussehen. Ist Erholungsurlaub hier überhaupt möglich? Oder ist Erholung im eigentlichen Sinne des Wortes an den Brennpunkten Spaßkultur ohnehin überholt? Man ist erstaunt, dass die hier gezeigten Wohnanlagen bereits zwischen 1950 und 1980 errichtet wurden, einige sogar noch früher. Sie zeugen von den Heilsversprechungen des Urlaubs, von Wohlstand und Konsum in den drei Nachkriegsjahrzehnten.

06_Ete_k

In seinem Essay hebt Dietrich Erben, Professor für Theorie und Geschichte von Architektur, Kunst und Design an der TU München, die zweifellos vorhandene Kühnheit mancher Bauten hervor. Schels/Unverzagt werfen einen durchweg distanzierten, sachlichen, nüchternen und – nicht zuletzt – ziemlich desillusionierenden Blick auf diese Monumente utopischer Glücksverheißung. Und überhaupt: Auch kühne Architektur kann Landschaften ruinieren.

03_Ete_k

05_Ete_k

  • Titel: Été
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Sebastian Schels, Olaf Unverzart
  • Textautor: Dietrich Erben
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Alexandra Rusitschka
  • Verlag: Kettler
  • Verlagsort: Dortmund
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: deutsch
  • Format: 31,2 x 24,6 cm
  • Seitenzahl: 164
  • Bindung: Leinen
  • Preis: 49 Euro
  • ISBN: 978-3862068326

Kommentarfunktion geschlossen.