Alter Wein in neuen Schläuchen

Taschens „The New Erotic Photography“

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Man wundert sich kaum, dass Taschen eine umfangreiche Publikation mit Nacktfotos unter dem Titel „The New Erotic Photography“ auf den Markt bringt. Erotika aller Art bilden schließlich das Kerngeschäft des weltumspannenden Kölner Verlagsimperiums. Zwei wohlgesetzte Reizwörter bestimmen den Titel und sollen zum Kauf animieren: „New“ und „Erotic“. Das Umschlagfoto zeigt eine brünette Nackte in einer mit gelben Schaumgummihütchen (oder dergleichen) gefüllten Badewanne, deren erogene Zonen sorgfältig verdeckt sind. In der einen Hand hält sie eine Eistüte, auf der drei riesige rosa Eiskugeln phallisch aufsteigen, in der anderen eines von diesen gelben Dingern. Sie blickt auffordernd in die Kamera, als wollte sie sagen, „Komm, steig ein!“ Sie tut also, was Frauen auf erotischen Bildern eben so tun: Sie macht an, oder versucht es jedenfalls.

Nun, fast seit Erfindung der Fotografie, mindestens jedoch seit ihrem Aufstieg zum Massenmedium in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts zählt der nackte – vornehmlich weibliche Körper – zu den bevorzugten Objekten (männlicher) fotografischer Neugierde und Inszenierungslust. Seitdem zeigen sich entblößte Frauen vor Kameras in allen nur denkbaren Stellungen und Posen zum Wohlgefallen männlicher Betrachter. Es gibt da wirklich nichts mehr, was nicht schon mal da gewesen wäre. Dieser dicke Band, der Arbeiten von 82 Fotografinnen und Fotografen aus 14 Ländern in alphabetischer Reihenfolge in der Art eines „seriösen“ Lexikons versammelt, füllt insofern lediglich alten Wein in neue Schläuche. Soweit zum Reizwort „New“.

Interessanter ist das andere Stichwort, „Erotic“. Alle Fotografen sind angehalten, ihre Stellung (!) zur Pornografie zu erläutern. So schreibt etwa Steve Diet Goedde: „Pornografie ist nur dazu, sexuell aufzugeilen. Erotische Fotografie aber soll ein erotisches Empfinden wecken.“ Oder der Tscheche Vlastimil Kula: „Pornografie kann ich sehr leicht identifizieren, das ist Sexfotografie, die mich nicht anmacht, dagegen sollte jedes erotische Foto erregend sein.“

Dian Hanson, Porno-Verlegerin sowie Editorin der wichtigen sechsbändigen „History of Men’s Magazines“ bei Taschen, und der Fetisch-Fotograf Eric Kroll verfolgen mit diesem Konzept eine Strategie, die schon immer zur Legitimation weiblicher Nacktheit auf Fotografien bemüht wurde, um die Zensur zu umgehen. Ging es allerdings früher vornehmlich darum, die Nacktheit als Kunst zu adeln, hat jetzt eine Akzentverschiebung stattgefunden: Die Erotik wird gegen die Pornografie verteidigt, und zur Kunst erklärt. Und wie Erotik sinnlich errege, was als hohe Qualität gilt, so appelliere Pornografie allenfalls an die (niedere) Lüsternheit. Gleichwohl gilt: Bittet man hundert Leute um eine Definition von Erotik wird man hundert Antworten erhalten. In Europa wird sich niemand über dieses Buch ernsthaft, d.h. im Sinne einer Klage vor einem Gericht, aufregen. In den USA könnte das anders sein. Religiöse Eiferer haben dort nach wie vor große Macht und Einfluss bis in die Regierung hinein. Nach wie vor herrscht dort aber auch eine widersprüchliche Rechtslage in Bezug auf die Bewertung von „obszönen Material“, die je nach Ort, Gemeinde, politischer, weltanschaulicher oder religiöser Gesinnung von Richtern vollkommen unterschiedlich ausfallen kann. Die Herausgeber versuchen also, mit ihrem Konzept der Bilderläuterungen im Sinne von künstlerischer Qualität, puritanischen Eiferern von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Immerhin steht in Zeiten des Kampfes gegen den Terror auch in den USA die Verteidigung der Sittlichkeit nicht mehr an vorderster Stelle. Von daher ist der Zeitpunkt, dieses Buch zu publizieren und auch in Amerika auf (nicht unter) dem Ladentisch zu handeln, recht günstig.

  • Titel: The New Erotic Photography
  • Untertitel: 
  • Bildautor: diverse
  • Textautor: 
  • Herausgeber: Dian Hanson, Eric Kroll
  • Gestalter: 
  • Verlag: Taschen
  • Verlagsort: Köln
  • Erscheinungsjahr: 2007
  • Sprache: englisch, deutsch, französisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 608
  • Bindung: Hardcover
  • Preis: 39,99 Euro
  • ISBN: 9783822849248

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