Banales uns Bedeutendes

Catch: Wolfgang Zurborn trifft sich mit Ror Wolf

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Seit dieses Buch auf dem Bücherstapel liegt, fällt mir seltsamerweise immer ein Buchtitel aus dem viktorianischen England an: What will he do with it? / Was wird er damit machen?, ein großartiger Roman des Dickens-Zeitgenossen Edward Bulwer-Lytton. Wolfgang Zurborn ist als Fotograf gegen jede Kritik erhaben. Wie er seine Bildausschnitte wählt, sein gewissermaßen synästhetisches Sehen und Fotografieren, bei dem Sichtachsen, Farbflächen, Formen und Motive, Banales und Bedeutendes, Horizontale und Vertikale, Alltägliches und Absonderliches zusammenkommen, ist schlicht faszinierend und originell. Wer so fotografiert, sieht die Welt wie wenig andere, das wird sofort klar. Catch heißt das Buch, was ja so viel bedeutet wie „einfangen“, „erreichen“, „erwischen“, aber auch „Falle“ oder „Fang“. Und all das passt ja auch wieder zu seiner Methode des Sehens. Ich kann mir gut vorstellen, wie Zurborn umherstreift und viele dieser disparaten Motive, die wie Collagen wirken, einfängt.

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Aus so vielen Bildern, sie heißen übrigens alle „untitled“, die Orte sind aber verschieden, muss ein Buch werden, ein Fotobuch. Ein einleitender Text muss her. Aber wer soll den schreiben? Ein Fotohistoriker vielleicht, der alles erklärt? Eher nicht, zu langweilig, zu akademisch. Ein Literat! Zurborn stellt seinem Buch also eine dreiseitige Textfläche des großen Ror Wolf voran, ein Ausschnitt aus dem 1964 erschienenen Roman Fortsetzung des Berichts. Der Text auf blauem Papier ist so seltsam wie Zurborns Bilder, ein fast schon (selbst)hypnothisches Spiel mit Wahrnehmungen, Erinnerungen, Bildern – eine Wort- und Satzkolonne, die förmlich auf einen einstürzt (und mitreißt, sofern man bis zum Ende durchhält). Der Text erklärt nichts, aber er verleiht den Fotos eine Aura. Es folgen Zurborns Fotografien, unkommentiert, namenlos, lediglich durch einen schmalen weißen Streifen in der Falz voneinander getrennt. Man blättert da hindurch, nimmt herrliche Entsprechungen von Farben und Formen, Motiven und Linien wahr (s. o.).

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Am Ende meldet sich der Fotograf leider selbst zu Wort, wieder auf blauem Papier: „Die einzigartigen Möglichkeiten des Mediums Fotografie bestehen für mich darin, im Dialog mit der Außenwelt, immer wieder neu die eigenen Kriterien der Wahrnehmung in Frage zu stellen, um sie in einem offenen Prozess, in ein Experiment des Sehens zu überführen.“ Fehlen nur noch drei Worte: „Diskurs“ „Plattform“ und „nachhaltig“…

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  • Titel: Catch
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Wolfgang Zurborn
  • Textautor: Ror Wolf, Wolfgang Zurborn
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Heine / Lenz / Zizka
  • Verlag: Kettler
  • Verlagsort: Dortmund
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 80
  • Bindung: Illustriertes Hardcover in transparentem Folien-Umschlag
  • Preis: 38 Euro
  • ISBN: 9783862064755

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