Chargesheimers Fotobücher

Eine Monografie zu einem der wichtigsten Fotobuchfotografen der fünfziger und sechziger Jahre

Chargesheimer_a

Chargesheimer (1924-1971) zu übersehen, wäre pure Ignoranz. Kaum ein anderer fotografierender Künstler war so innovativ und produktiv wie er. Und kaum ein anderer Fotograf hat so viele einzigartige und eindrucksvolle Bücher gemacht wie er. Sein Werk wurde vielfach ausgestellt, doch seine weit über seine Heimatstadt Köln hinausgehende Wirkung entfaltete er durch die Bildbände, von denen die berühmtesten zu gesuchten Inkunabeln des künstlerischen Fotobuchs geworden sind: Unter Krahnenbäumen, 1958 (zwei Reprints von Schaden) und Köln 5 Uhr 30, 1970 (eine Reprise von Wolfgang Vollmer).

Es wurde also Zeit, den Büchern von Chargesheimer den Stellenwert einzuräumen, der ihnen angemessen ist. Dies wird getan im Rahmen einer Ausstellung im Kölner Museum Ludwig und einer in diesem Zusammenhang erschienenen Monografie, die Bodo von Dewitz für den Verlag herausgegeben hat, der schon vor 50 Jahren einige Bücher des Fotografen verlegte. Jedem Buch und darüber hinaus den anderen Werkgruppen ist je ein kurzer Essay inklusive instruktiven Dokumentationsabbildungen wie Kontaktbögen aus dem Nachlass gewidmet. Die Texte referieren die Entstehungsbedingungen, arbeiten das Spezifische der Bildgestaltung heraus oder ziehen Vorläufer und Inspirationsquellen heran. Die Bildbeispiele zu den Büchern zeigen Doppelseiten aus den aufgeschlagenen Büchern, aber auch Einzelbilder. Auch die Schutzumschläge werden abgebildet – und zwar mit allen Benutzungsspuren, die ein vier oder fünf Jahrzehnte altes Buch eben hat. Das Unterlassen von verschönernden Retuschen bzw. der Verzicht auf das Zeigen von neuwertigen Exemplaren (Sammlerstatus: „mint“) belässt den Büchern ihre im Kontakt mit den Benutzern entstandenen Alterungsspuren und ihre natürlich Würde. Die neue Monografie selbst ist ein schönes, gut durchdachtes, brillant gedrucktes und unaufdringlich gestaltetes Buch; Chargesheimer hätte auch nichts anderes verdient gehabt.

Ermuntert von der biographischen Einleitung des Herausgebers, in der er am Ende konstatiert, dass es wohl noch einige Zeit brauchen wird, bis Chargesheimer vollständig und mit allen Facetten (Chargesheimer als Farbfotograf…) erforscht sein wird, freut sich der Rezensent, eine kleine Lücke in der doch eindrucksvollen Fülle an Informationen und Bildern gefunden zu haben. Gemeint ist eine mit den Maßen 28×49 cm riesige, frühestens 1970 erschienene Broschüre des Wuppertaler Presse- und Informationsamtes, die mit acht ziemlich seltsamen ganzseitigen Chargesheimer-Hochformaten ausgestattet ist. Die Bilder zeigen Details aus dem Friedrich-Engels-Haus in Wuppertal als „eine geistige Topographie“, erst die Haustür in extremer Untersicht, dann den Blick in ein Zimmer, dann, wie herangezoomt, Kronleuchter sowie Ausstattungsdetails wie Stuckornamentik, eine Ofennische oder einen Stuhl. Diese Kamerafahrt in und durch ein ein klassizistisches Wohnhaus ist ein weiteres Beispiel für die Weitwinkelmethode, die Chargesheimer ab 1967 unter Einsatz einer Plaubel Veriwide entwickelte und die für die letzte Phase seines Werkes charakteristisch war. Die verzerrte Nahsicht auf ein bürgerliches Interieur könnte auch von David Lynch stammen, aber sie ist selbstverständlich original Chargesheimer, der dieser Broschüre, einem seiner letzten Werke, seinen unverwechselbaren und irritierenden Stempel aufgedrückt hat.

Chargesheimers Arbeiten besitzen visuelle Widerhaken, die in Erinnerung bleiben. Das kann man nicht oft genug sagen und deshalb ist es gut, das 2007 wieder einmal daran erinnert wird. Es freut sich schon auf die nächste Präsentation von Aspekten aus Chargesheimers Schaffen

 

  • Titel: Chargesheimer
  • Untertitel: Bohemien aus Köln 1924 – 1971
  • Bildautor: Chargesheimer
  • Textautor: diverse
  • Herausgeber: Bodo von Dewitz
  • Gestalter: Thomas Neuhaus
  • Verlag: Greven Verlag
  • Verlagsort: Köln
  • Erscheinungsjahr: 2007
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 352
  • Bindung: Leinen, Schutzumschlag
  • Preis: 48 Euro
  • ISBN: 9783774304024

Kommentarfunktion geschlossen.