Die verbotene Stadt

Mit der Bezeichnung „verbotene Stadt“ assoziiert man sofort den kaiserlichen Palast in Peking, nicht das Militärgelände von Wünsdorf in der brandenburgischen Provinz. Und doch gibt es Parallelen, nicht unbedingt in der Pracht und Funktion der Bauwerke, aber doch in deren abgeschlossenen Charakter. Johann Karl (* 1992) hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Status und nebenbei auch den Konversionsprozess der weitläufigen Anlage mit Reliken militärischer Nutzung von Reichswehr, Wehrmacht und von Sowjetischen Streitkräften in Wort und Bild zu dokumentieren. Da der Fotograf zu jung ist, um auch historische Zustände mit eigenem Material belegen zu können, bediente er sich dafür u.a. des Bildarchivs von Detlev Steinberg (1944-2020), der vor etwa drei Jahrzehnten den Abzug der russischen Truppen aus Deutschland zu seinem Thema gemacht und deshalb auch in Wünsdorf fotografiert hatte. Alte und neue Bilder sowie die knappen, betont sachlich informierenden, von Karls Schwester verfassten Erläuterungstexte zu den einzelnen Kapiteln (wie Wohnquartiere, Flugplatz, Raketenversuchsstation, Bunkeranlagen, Kriegsgefangenenlager etc.) wurden von Carsten Eisfeld in ein flüssiges, unaufdringliches Layout gebracht. Das Cover in Olivgrün mit goldenen Lettern ist bildlos bis auf eine seltsame Zeichnung auf der Rückseite, deren Bedeutung aber im Buch enträtselt wird. Passt!

Es entstand weder eine Dokumentation für Denkmalpfleger oder Militärhistoriker noch ein touristischer Reiseführer und schon gar nicht eines dieser knalligen Produkte, wie sie Einsteiger in das Fotobuchgenre oft meinen, vorlegen zu müssen, sondern eine solide in der Geschichte verankerte dokumentarfotografische Arbeit, die einen stimmigen Eindruck macht. Detailinformationen darf man hier also nicht erwarten; das fotografische Interesse an Bild gewordener Geschichte steht eindeutig im Vordergrund. Bemerkenswert offen ist das Vorwort, in dem der Autor sein Interesse an und seine biografischen Bezüge zu Wünsdorf schildert. Als Erstlingswerk gelungen!