Ein Architekturführer ohne Text

Manhattan ist nicht nur das lebendige Herz New Yorks, sondern auch ein Freiluftmuseum für Baukunst seit dem späten 18. Jahrhundert. Der Fotograf und Architekt Gerrit Engel hat sich auf die Suche nach den bemerkenswertesten Bauten gemacht und diesen ein chronologisch nach Baujahren geordnetes dickes und schweres Buch gewidmet. Die Fotos entstanden immer aus Fußgängerperspektive; stürzende Linien wurden ausgeglichen, eine sachdienliche (schattenlose) Beleuchtung gewählt, höchstmögliche fototechnische Qualität angestrebt. Das Leben auf der Straße ist nur Beiwerk, der Blick ist immer auf ein bestimmtes Gebäude konzentriert. Die Fotos visualisieren ein „nüchternes Innehalten“ im Gebrodel der Großstadt, so wollte es der Autor. Das Layout des hochwertig gedruckten Buches ist sachlich und kühl gehalten; rechts das Foto mit weißem Rand, links die Adresse des Objektes, sein Architekt und das Baujahr als wichtigstes Gliederungselement. Übersichtspläne und Register beschließen das bis auf zwei kurze einleitende Essays textlose Buch.

So weit, so gut. Der langen Reihe der zu New York erschienenen Stadtportraits wurde ein geradlinig-sachlicher Band hinzugefügt, der ob seines visuellen Informationsgehaltes Architekten mehr begeistern dürfte als Fotografen. Engels fotografische Bestandsaufnahme ergab einen vom Text her bis auf das nötigste reduzierten Architekturführer in repräsentativer Coffee-Table-Aufmachung. Dieser Publikationstyp ist gut geeignet als Anschauungsmaterial für Kunsthistoriker oder für das Wartezimmer aufgeschlossener Architekten. Handwerklich saubere Architekturfotografie unter dem Konzept einer möglichst nüchternen Darstellung mag ein gutes Buch ergeben, aber nicht zwingend ein – wie es der Verleger rühmt – „großes“ Buch. Ein wirklich großes Buch würde Emotionen freisetzen wie Staunen, Schrecken, Schmunzeln. In diesem Sinne ist Engels Buch gut, aber nicht groß.