Ein Dickicht zum Eintauchen

Endlich erschienen: „Autopsie 2“ von Manfred Heiting und Roland Jaeger

Autopsie2_Cover

Noch dicker, noch schwerer: Zählte der erste, vor drei Jahren erschienene erste Band von Autopsie. Deutschsprachige Fotobücher 1818-1945 bereits 516 Seiten, ist der Folgeband noch einmal um gut 140 Seiten erweitert worden. Allein 21 der insgesamt 36 Beiträge stammen aus der Feder Roland Jaegers. Die weiteren Aufsätze haben zehn Autorinnen und Autoren beigesteuert. Die Einleitung „Vom foto-auge zum buch-auge: Publikationen, Probleme und Perspektiven der Fotobuchforschung“ haben Jaeger und Manfred Heiting gemeinsam als Herausgeber geschrieben.

Insgesamt umfasst Autopsie also annähernd 1200 großformatige Seiten zur Fotobuchkunde, die weit über das bisher Übliche hinausgehen. Das „Übliche“ ist die Darstellung und Auflistung herausragender Einzelbände. Parr/Badger haben es mit The Photobook bekanntlich vorgemacht und damit seinerzeit mächtig den Markt beflügelt. Diesem Muster sind etliche, überwiegend auf Länder bezogene Darstellungen gefolgt, eine Auflistung findet sich hier. Autopsie will gegenüber diesem Typus das Fenster zum Fotobuch als ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Forschungsgegenstand öffnen und den Weg dahin bereiten. Also keine (subjektive) Auswahl und Einzelbeschreibungen, sondern Darstellung von inhaltlich und zeitlich übergreifenden Zusammenhängen. Autopsie stellt sozusagen das bibliografische Fundament bereit, auf dem weitere Forschung zu deutschsprachigen Fotobüchern stattfinden könnte. Denn dazu gehört ja, bevor die kunsthistorische Deutung beginnen kann, dass das Material gesichtet wird, man sich der Ausstattungen, der Auflagen und Ausgaben, der Einbandvarianten etc. versichert.

Autopsie2_1

Autopsie2_2

Autopsie2_3

Der zweite Band thematisiert ein breites Spektrum: Es geht z. B. um Verlagsreihen wie Die Blauen Bücher oder Orbis Urbium, um Reisebildbände, um Sport als Bildpropaganda, Buch- und Umschlaggestaltung, Massenpresse und Werbung, um Aktfotografie, fotografische Schutzumschläge von nichtfotografischen Büchern, Bildkalender und vieles mehr. Die Anordnung der Beiträge folgt keiner inneren thematischen Logik und leistet keiner Systematisierung Vorschub. Die Vielfalt wird auf diese Weise bewusst als solche präsentiert, nämlich als Dickicht, in das einzutauchen sich lohnt.

Autopsie2_6

Der Anspruch auf Genauigkeit und Nachprüfbarkeit aller Aussagen bedingt bisweilen seltsame stilistische Kapriolen, die Loriot als Meister der Sprachkomik große Freude bereitet hätten. Drei, zugegeben, extreme Beispiele mögen das illustrieren: „Gedruckt wurden die farbigen Tafeln bei Förster & Börries, die Druckplatten ätzte jedoch die Firma Römmler & Jonas in Dresden, wie auch die Platten zu dem berühmten Pilzbuch nicht bei Förster & Börries, sondern bei Husnik & Häusler in Wien hergestellt worden waren (…)“ (S. 27). Oder: „Zur Internationalen Pelzfach-Ausstellung, die vom 31. Mai bis 30. September 1930 in Leipzig ausgerichtet wurde, liegt unter dem Titel IPA. Internationale Pelzfachausstellung, Internationale Jagdausstellung, Leipzig 1930 Amtlicher Katalog ebenfalls ein umfangreiches Ausstellerverzeichnis vor“ (S. 64). Und: „Zur Ausstellung selbst liegt ein von der Gemeinnützigen Berliner Ausstellungs-, Messe und Fremdenverkehrsgesellschaft unter der Schriftleitung von Messe-Chef Ingo Kaul herausgegebener Amtlicher Führer durch die Ausstellung Deutschland, Berlin 1936, 18. Juli bis 16. August Ausstellungshallen am Funkturm im Format 20,5 x 20 cm vor, der in einer Auflage von mindestens 30.000 Exemplaren verbreitet worden ist“ (S. 68).

Autopsie2_5

Autopsie2_4

Das Buch ist – wie der erste Band – gestalterisch wieder eine Augenweide. Heiting hat alles daran gesetzt, visuell nicht zu langweilen. Abgesehen von den durchgängigen breiten Begrenzungslinien oben und unten ist jede Seite anders: aufgeklappte Bücher, Buchstapel, Groß- und Detailaufnahmen, Buchmosaike, Reihungen usw. Auch die Spaltenbreite variiert. Erstaunlich, wie Bücher sich inszenieren lassen. Die Einzelbände kosten jeweils 95 Euro, beide Bände im Schuber 138 Euro. Wer den ersten Band bereits erworben hat, darf sich zu Recht über diese Preispolitik des Verlags ärgern.

Autopsie_Cover_beide

  • Titel: Autopsie
  • Untertitel: Deutschsprachige Fotobücher 1918 bis 1945, Band 2
  • Bildautor: (diverse)
  • Textautor: Hans Rudolf Gabathuler, Virginia Heckert, Manfred Heiting, Roland Jaeger, Enno Kaufhold, Hanna Koch, Dorothea Peters, Patrick Rössler, Rolf Sachsse, Franziska Schmidt, Rainer Stamm, Thomas Wiegand
  • Herausgeber: Manfred Heiting, Roland Jaeger
  • Gestalter: Manfred Heiting
  • Verlag: Steidl
  • Verlagsort: Göttingen
  • Erscheinungsjahr: 2014 (ausgeliefert 2015)
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 656
  • Bindung: illustriertes Hardcover, Lesebändchen
  • Preis: 95 Euro
  • ISBN: 978-3869304335

Eine Antwort zu Ein Dickicht zum Eintauchen

  1. Pingback: Die Bilderfabrik | kasseler fotobuchblog