Fremdschämen mit Ulrich Seidl

Fotobuch zum Film „Im Keller“

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Was unter der Schicht des offensichtlich Wahrnehmbaren verborgen liegt, ist das Lebensthema des österreichischen Filmemachers Ulrich Seidel. In seinen Filmen, irgendwo angesiedelt zwischen Dokumentar- und Spielfilm, spielen Menschen mit speziellen Obsessionen, seelischen Deformationen, Ängsten, Träumen und Zwanghaftigkeiten die Hauptrollen. Einsame Kleinbürger in tristen Vororten, am Rande der Gesellschaft. Leute, die nichts zu verlieren haben, oft voller Verzweiflung, Hass oder Hoffnung sind oder einfach so dahinleben. Weitere Stichworte: Gewalt, Unterdrückung, Macht, Ohnmacht. Hundstage, Import/Export oder die Paradies-Trilogie sind da zu nennen. Sein 2014 erschienener und bisher letzter Film Im Keller entführt dann auch ganz konsequent und unmittelbar in den österreichischen Untergrund. Der Keller als Souterrain der Seele. Man erinnert sich an Josef Fritzl, Natascha Kampusch und Wolfgang Přiklopil und imaginiert das Alpenland sogleich als monströsen Karzer unter den Bergen. Seidls Filmsprache ist ausgesprochen fotografisch: Architektonischer Bildaufbau, genau komponierte Perspektiven, lange, sehr lange Einstellungen, wenige Dialoge, Verweigerung jeder vordergründigen Action-Ästhetik. Seidl-Filme sehen heißt aushalten lernen. Sie sind zynisch, bitter und gemein und oft nur schwer zu ertragen.

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Im Keller ist auch als Fotobuch erschienen. Kein marktschreierisches „Buch zum Film“, sondern vielmehr ein Subtext dazu, ein Konzentrat, aber auch eine Bilanz der filmischen Arbeit Seidls. Wer ist hier der Fotograf? Mehrere Kameramänner sind am Film beteiligt: Martin Gschlacht, Hans Selikovsky und Wolfgang Thaler. Seidl hat als Spiritus Rector des Ganzen für das Buch „die Stopptaste als Auslöser“ (Vorwort von Claus Philipp) gedrückt und eine chronologische Auswahl von Standbildern mit „Kellermenschen“ in ihren Räumen zusammengestellt: z. B. ein feister Großwildjäger mit seinen Trophäen, ein Modelleisenbahner inmitten seiner Miniaturbahnlandschaft, ein Ehepaar allein in der Kellerbar, ein Mittfünfziger beim Work-out usw. Man nimmt diese Ansichten, unterbrochen von Zitaten und Essays, mit Belustigung zur Kenntnis. Härter wird’s bei den Sequenzen, die kleine Geschichten erzählen, etwa die mit der alten Dame, die im Keller eine Babypuppe aus dem Karton holt und diese liebkost oder jene von dem Posaunisten, bekennenden Säufer und Hitlerfan, der in seinem mit NS-Devotionalien vollgestopften unterirdischen Refugium private Treffen mit Gleichgesinnten abhält. Und dann sind da noch die droben unauffälligen Kleinbürger, die drunten bizarren sexuellen Praktiken frönen.

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Die meisten Protagonisten schauen einen frontal und irgendwie provozierend aus ihrem Kellerambiente heraus an. Schönheit gibt es nicht. Es ist nicht klar, ob es sich um Dokumentaraufnahmen oder gestellte Szenen handelt, was vielleicht auch egal ist, denn diese Bilder sind wahr im Sinne von wahrscheinlich! Sie fassen einen an, lassen einen nicht los. Diese wohlkomponierten Stills sind auch Spiegelbilder. Das Lachen bleibt einem im Hals stecken. Wie würde man selbst auf einem Seidelschen Tableau wirken?

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  • Titel: Im Keller
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Ulrich Seidl
  • Textautor: Olaf Möller, Franz Schuh, Ute Woltron, Herbert Lachmayer, Claus Philipp
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Bruno Margreth, Laura Vuille
  • Verlag: Benteli
  • Verlagsort: Sulgen
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 168
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 38 Euro
  • ISBN: 978-3716517994

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