Grelle Farben?

Das Istanbul der Maria Sewcz

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Nanu: grelle Farben, wo bin ich? Das ist nicht das grau-schwarze Istanbul, das ich kenne. Allerdings ist mein Besuch dort schon Jahrzehnte her. Die nichtverbleichenden Farben von Plastik schreien uns an. Sogar das schöne Gefieder von Hühnern verblasst in der Kakophonie der Farben. Lediglich im Winter, wenn Schnee das Schwarz akzentuiert, kommt das schwarz-weisse Istanbul von Ara Güler in den Sinn.

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Ein paar Menschen sind meist von hinten zu sehen, in diesem Falle allerdings weniger wegen der heutzutage grassierenden Hysterie, Menschen nicht ohne Erlaubnis fotografieren zu dürfen, sondern eher wegen der Neigung der Autorin zu den Artefakten unserer Welt. Die Menschen haben es angerichtet, Maria schaut hin, wie das dann aussieht.

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Wahrscheinlich war Istanbul vor allem ein Fundus für Maria Sewcz, ihre Sehweise in Bilder zu verwandeln. Und die Welt ist heute tatsächlich eher grell und keineswegs feinsinnig zart. Plastik und die damit einhergehende Farbpalette ist allgegenwärtig. Anhand dieser Bilder, gefunden am Wegesrand, erhebt sich die Frage nach einer neuen Ästhetik . So neu ist diese ohnehin nicht; spätestens seit der Pop-Art haben bildende Künstler erkannt, dass Farbe knallen kann. Die Fotografie ist etwas spät dran, dies ästhetisch zu verstehen. Ein schmiedeeisernes Gitter ist in Istanbul eben nicht schwarz sondern türkis gestrichen. Es gibt keine Scheu, eine schäbige Schabracke knallrot zu streichen. Doch Maria sieht auch alte Mauern und traditionelle Wandmuster. Neben einem uralten Holzhaus lauern jedoch bereits Überwachungskameras. Auf schön verzierten Steinquadern steht der Blechkasten einer Klimaanlage. Diese Fotografin ist unsentimental. Lapidar lichtet sie ein Marmorgrab ab, eingezwängt zwischen Stacheldraht und Eisenbahntrasse. In einer durchaus romantischen Seitengasse quillt grau-grüner Rauch aus einem Rohr, den blühenden Baum dahinter scheint‘s nicht zu stören. Seltsam auf Platten gespannte Felle sind ein surrealistisches Fundstück. Stets gibt es auf ein Nebeneinander und Durcheinander unterschiedlichster Bildgegenstände, Uraltes neben Heutigem, Abfall neben Schönem. Viele Bilder sind so komplex in Formen, Farben und Inhalten, dass sie sich der Beschreibung entziehen.

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Nachdem ich mich über die wilden Farben beruhigt habe, sehe ich nun doch die Stadt Istanbul als Symbol einer modernen Agglomeration. Maria Sewcz‘ Sicht ist mir nahe gekommen – so soll Autorenfotografie ja wirken.

  • Titel: TR 34; Istanbul
  • Untertitel: 2016/2017
  • Bildautor: Maria Sewcz
  • Textautor: Monika Rinck
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Carsten Eisfeld
  • Verlag: Hartmann books
  • Verlagsort: Stuttgart
  • Erscheinungsjahr: 
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 22,6 x 30,5 cm
  • Seitenzahl: 136
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 34 Euro
  • ISBN: 978-3-96070-026-5

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