Im Lesefluss

Mit Parasomnia beweist Viviane Sassen Mut zum Erzählen

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Wie auf Notenlinien springen die Fotografien durch das Buch. Es geht auf und ab, wird groß und klein, und damit der Leser den Faden nicht verliert, laufen die Bilder über den Frontschnitt der Seite hinaus auf der Rückseite weiter. Der niederländische Fotobuchdesigner Sybren Kuiper, kurz SYB, platziert die Fotografien Viviane Sassens (*1972) so, dass sie mit den Elementen des Buchs gesehen werden müssen. Mittelfalz oder Frontschnitt zerlegen die Bilder in unterschiedlich große Teile. Das nennt sich Fragmentieren, hat hier aber verbindenden Charakter. Die Bilder rücken enger zusammen, ein vergleichender Blick drängt sich auf, der das Vor- und Zurückblättern forciert und die formalen Bezüge in den Vordergrund rückt. Eindeutig wird das spätestens in der Buchmitte: Hier findet sich das Motiv einer Wäscheleine, die sich auf der folgenden Seite als blaue Schnur durch den Mund eines Models spannt.

Eine so deutliche Beeinflussung der Lesart erscheint schnell wie ein zu enges Korsett, dessen Stützfunktion die Bilder gar nicht nötig haben. Sie fördert aber den lesenden Blick. Der Betrachter kann sich lenken lassen, wie ferngesteuert, einem Schlafwandler ähnlich. Ebenso erfolgreich haben Sassen und SYB bereits 2008 für das Buch Flamboya zusammengearbeitet. Von diesem Werk ist inzwischen auch die 2.Auflage vergriffen.

Hat der Leser die Syntax einmal durchschaut, kann er ganze Sätze lesen. Modelle posieren wie Fragezeichen, Gegenstände werden zu Ausrufezeichen oder Punkten und zwischendrin wird die Geschichte weiter geschrieben. Sie erzählt von Afrika, seinen Menschen, seinen Landschaften, seinen Licht- und Schattenseiten. Viviane Sassen wagt einen anderen Blick auf diesen Kontinent, einen modernen Blick, der ein junges Lebensgefühl transportiert und keine Klischees bedient. Die niederländische Künstlerin arbeitet mit leuchtenden Farben und harten Kontrasten, über die sie plakative, verständliche Bildkompositionen aufbaut. Ihre Protagonisten bleiben jedoch distanziert: Gesichter liegen außerhalb der Bildfläche, sind im Schatten verborgen oder vom Betrachter weggedreht. In den Fokus rückt die Vermutung, verstärkt durch die Inszenierung der Modelle im dokumentarischen Kontext.

Ganz offensichtlich treffen Sassen und SYB mit der Buchgestaltung eine Entscheidung für die Erzählung. Das kann man zu gewollt finden oder aber mutig. Wo Viviane Sassen in ihren Fotografien Rätsel aufgibt, Interpretationsspielraum lässt, grenzt SYB sie ein, verweist auf das Davor und das Danach. Missachtet ihre Vollständigkeit, indem er sie abschneidet und sie in den Erzählfluss einbettet.

Diese ungewöhnliche Art der Gestaltung findet ihren Ausdruck leider auf sehr gewöhnlichem Material. Das einfache, gestrichene Papier weist keine besonderen haptischen Qualitäten auf und steht auch mit den Fotografien nicht in sinnstiftendem Zusammenhang. Schade, wo doch vorher alles so durchdacht erschien.

  • Titel: Parasomnia
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Viviane Sassen
  • Textautor: Moses Isegawa
  • Herausgeber: Prestel
  • Gestalter: -SYB-
  • Verlag: 
  • Verlagsort: München
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 104
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 39,95 Euro
  • ISBN: 978-3-7913-4521-5

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