Nicht das ewige Bäng Bäng

Anja Niedringhaus fotografiert den Krieg

Niedringhaus_Cover

Sie könne den Krieg nicht stoppen, sagt Anja Niedringhaus im ZDF-Interview. Aber sie wolle wenigstens zeigen: „Er ist immer noch da!“ Sie möchte nicht hinnehmen, dass viele sich beim Thema Afghanistan mittlerweile gelangweilt abwenden. Darin sieht die bei Kassel lebende Niedringhaus ihren Auftrag: Seit gut 20 Jahren – ihr erster Einsatz war der Krieg in Jugoslawien – fotografiert sie gegen das Vergessen, gegen die Gleichgültigkeit. Fotografie als Akt der Aufklärung, als Hoffnung und Möglichkeit, dass ein Foto etwas, und sei es noch so wenig, im Denken, im Handeln derer, die nicht dabei sind, ändern könnte. Ihre Fotos werden in Zeitungen rund um die Welt gedruckt, Millionen haben sie morgens beim Frühstück gesehen. Niedringhaus, 1965 in Höxter geboren, ist Agenturfotografin. Unter ihren Bildern steht lediglich das Kürzel AP (Associated Press).

Die Galerie C/O Berlin zeigte erstmals einen konzentrierten Querschnitt ihrer Kriegsfotografien unter dem Titel „At War“. Bei Hatje/Cantz ist das beeindruckende Katalogbuch mit 77 Schwarzweiß-Aufnahmen aus Palästina, Irak, Afghanistan und Libyen erschienen. Deren Anordnung folgt keiner Chronologie oder Einteilung nach Konfliktherden. Warum auch? Der Krieg ist überall gleich schmutzig, gleich grausam, gleich leidvoll und hässlich. Wer heute Täter ist, kann morgen schon Opfer sein: Ein verwundeter Soldat des Gaddafi-Regimes liegt auf einer Bahre im Krankenhaus und schaut mit entsetztem Blick auf den ihn verhörenden Rebell. Der Rebell scheint ihn von oben herab anzuschnauzen. Es könnte auch umgekehrt sein. In solchen Bildern, verdichtet Niedringhaus den absurden Wahnsinn des Krieges.

Auch sie hat die Fotos von Erschöpften, Verwundeten und Toten in Dreck und Blut. Diese Bilder erfüllen die Erwartungshaltung des Publikums an Kriegsfotografie, indem sie zeigen, wie Krieg ist, wie man ihn sich vorstellt. Aber Niedringhaus knipst nicht einfach drauflos. Sie sucht vielmehr die Facetten, die Zwischentöne, nicht das ewige „Bäng Bäng“, wie sie sagt. In Trümmern spielende Kinder, ausgelassene Frauen auf einem Karussell im Gaza-Streifen, der einsame private Sicherheitsmann, der in Kandahar eine Straße bewacht, der deutsche Soldat, der im Morgengrauen (im Grauen des Morgens?) mit einigen Kerzen seinen Geburtstag feiert. Auch diese scheinbar normalen Momente des Innehaltens, des kleinen Friedens, sind Fluchten in Zeiten des Krieges. „Normalität“ ist der Traum, der alle im Krieg vereint.

Niedringhaus liefert zu jedem Bild eine knappe Beschreibung: Einmal, 2010, besucht sie mit einer kanadischen Patrouille ein afghanisches Dorf. Der Empfang der Bewohner ist freundlich, man scherzt, fotografiert sich gegenseitig. Der Trupp zieht, einen Mauerkorridor entlanggehend, ab. Der Kommandant verscheucht ein Huhn. Niedringhaus geht vorweg und hält die Szene fest. Sekunden später wirft jemand eine Handgranate über die Mauer. Niedringhaus wird von Granatsplittern getroffen und schwer verletzt ausgeflogen. Nach ihrer Genesung fährt sie sofort wieder nach Afghanistan. „Wer einmal vom Pferd gefallen ist, steigt trotzdem wieder auf“, sagt sie.

2003 gelingt ihr das berühmte Foto mit dem triumphierenden George Bush, der seinen siegreichen Kämpfern einen saftigen Weihnachtstruthahn darbietet. Aber ach: Der Truthahn ist aus Plastik, die Früchte sind es auch. Kriegsfotografie kann Lüge sein. Dieses (Kriegs-)Bild sagt zwar mehr als 1000 Worte, aber manchmal braucht es doch einige Worte, um zu sagen, was wahr ist.

Weitere Stationen der Ausstellung: Unternehmenszentrale der Deutschen Börse, The Cube, Eschborn 12.1.–18.3.2012; Situation Kunst für Max Imdahl, Bochum 21.1.–15.4.2012; Lumix festival für jungen fotojournalismus, Hannover 13.–17.6.2012; Kasseler Kunstverein 22.8.–3.9.2012; Rencontres Internationales de la Photographie en Gaspésie, Quebec August–September 2012.

Ausstellung Anja Niedringhaus im Kasseler Kunstverein, August 2012

Ausstellung Anja Niedringhaus im Kasseler Kunstverein, August 2012

  • Titel: At War
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Anja Niedringhaus
  • Textautor: Jean-Christope Ammann, Ulrike Demmer, Felix Hoffmann
  • Herausgeber: C/O Berlin
  • Gestalter: Naroska
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 180
  • Bindung: illustriertes Halbleinen
  • Preis: 36 Euro
  • ISBN: 978-3-7757-3232-1

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