Zur Hölle, wenn Du das nicht abkannst

Nachtrag zum wohl meistbesprochenen Fotobuch des Jahres 2014 von Christoph Bangert

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Die Graupappe der Einbands ist drei Millimeter stark. Dabei ist dieses Buch kaum größer als eine Postkarte. „Es ist so klein, dass man es sich nur allein anschauen kann,“ erklärt Christoph Bangert, der Fotograf und Autor. (1)

Vorn, schwarz, in Schreibmaschinenschrift der Titel: WAR PORN. „Eigentlich ist es egal, wie man das nennt“, meint Bangert, „man hat immer dieses pornografische Element in dieser Arbeit, dieses Entmenschlichende.“ (2) Auf dem hinteren Deckel der Verlag: KEHRER, das zweite „E“ spiegelverkehrt. Einen Buchrücken gibt es nicht. Stattdessen scheinen unter weißem Leim, schwarz und rot, ‒ wie Eingeweide ‒ , die gedrillten Fäden der Bindung durch. Fünf Seiten Einleitungstext: Charakteristisch die zugeschmierten Buchstaben der Schreibmaschinenschrift, vor allem das „e“ oder das „m“, auch der zu fette Punkt, der immer unter die Standlinie rutscht.

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Danach achzig farbige Doppelseiten: Sie sehen den nackten Mann aus Bagdad, der Sie flehend anblickt. Der sich nicht auf dem Bett halten kann, weil seine Haut bis zu den verkohlten Fingern verbrannt ist und aufgeplatzt. Der sterben wird, weil die Verbrennungsstation aufgrund von Korruption geschlossen wurde, wie die Bildlegende berichtet. Das bleiche, sanfte Kind, wie schlafend in seinem strahlend weißen Leinentuch, darüber die braune Hand des Onkels, der neben ihr kniet und wie zufällig ihr Gesicht aufdeckt. Den gefesselten Leichnam, der auf den Müll geworfen wurde, wo ihn streunende Hunde angefressen haben, ‒ scharlachrot (wie die leere Tomatendose neben seinem Kopf) das offene Fleisch über Halswirbeln und Schulterbein. Den Gefolterten, braun und blau am ganzen Körper, die roten Brand- und Fesselmale, die rohe Obduktionsnaht, die weiße Watte überm Geschlecht, die heraushängende Zunge, abgeknickt sein Kopf in der engen Holzkiste. Gemartert noch im Tod. Oder, ‒ offenbar von einem anderen Kriegsschauplatz ‒, den schwarz verwesten Leichnam in der braunen Pfütze, von grünen Fliegen übersät, mit offenem Mund und augenlosem Blick, so wie er in Banda Aceh Wochen nach dem Tsunami aufgefunden wurde. (3)

Seit das Buch im Mai 2014 erschienen ist, reißen die Rezensionen, Interviews, Vorträge und Talks nicht ab. Im Fernsehen, im Rundfunk, in Online-Portalen, Magazinen und Tageszeitungen. (4) Bei Google wird „war porn christoph bangert“ mit 260 Ergebnissen angezeigt. (5) Der Fotograf scheint vom Erfolg selbst überrascht: „Die Nachfrage ist gleich Null, niemand will diese Fotos haben.“ (6)

Der Widerspruch ist Teil einer inszenierten Mutprobe: „These are not my best pictures,“ versichert Bangert in der Einleitung, nicht „the boom and the bang.“ Sondern diejenigen, die von den Redaktionen abgelehnt wurden. (7) Bangert ist überzeugt, dass unser Gehirn uns vor solchen Horrorbildern schützt. Dass es bei jedem eine Selbstzensur gibt, die oft fälschlich mit Pietät oder Respekt verwechselt werde. Einige Doppelseiten im Buch sind unbeschnitten, Sie können sie entlang einer Perforation öffnen: „Sometimes you may even have to force yourself,“ schreibt Bangert in der Einleitung, „and it can require a knife.“ Und, falls Sie nicht den Mut aufbringen, Ihre Selbstzensur zu überwinden: „If you can´t stomach it, get the hell off this planet! You HAVE TO look at it!“

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Nach der Doppelseite mit dem blutüberströmten Afghanen, der von zwei GI´s betreut wird, erscheint close-up das Portrait des Fotografen. Nichts sonst rückt näher an den Betrachter als dieses 14-Tage-Bart-Gesicht unter dem Stahlhelm, eingerahmt vom Kragen über der schusssicheren Weste. „Ich habe einen klaren journalistischen Auftrag,“ sagt Bangert.“ (8) Nach einer Untersuchung des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung ist 2013 mit bisher 414 gewaltsamen Konflikten in der Welt das kriegerischste Jahr seit 1945. (9) Laut Reporter ohne Grenzen wurden 2014 bisher 66 Reporter im Einsatz getötet. (10) Es gibt eine „neue Qualität der Gewalt, die uns sehr erschreckt”, sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Neu ist, dass Journalisten gezielt entführt und die Geiselnahme und Tötung als Propaganda genutzt werden.“ (11)

Auf Doppelseite 56/57 unvermittelt zwischen den Verstümmelten, Verbluteten, Verzweifelten, Verbrannten auf einem Servierteller: Hühnerschenkel und Lamm, leicht verkohlt, garniert mit sehr roten Tomaten-, sehr grünen Gurkenscheiben. Daneben, zwischen Fladenbrot, ein paar abgenagte Knochen. Die kaum angerührten Reste eines Mahls der US-Botschafterin mit sunnitischen Repräsentanten und lokalen Scheichs, Falludja Business Development Centre, 2009. (12)

„We remember in still images. Not in video, not in text,“ schreibt Bangert. Auf siebenundsiebzig Doppelseiten also die Bilder der Opfer. Gestochen scharfe Fotos in bestechender Komposition und suggestiver Farbigkeit. Die gräßlichsten Motive mehrfach. Doch es gibt auch andere Bilder. Drei eingestreute Standbilder aus Fernsehbeiträgen: Verkantet, in Fehlfarben, unscharf vom typischen Zeilenraster. Sie zeigen Saddam Hussein im irakischen Fernsehen kurz vor seiner Hinrichtung, die Präparation einer Straßenbombe aus einem Propagandavideo eines illegalen TV-Senders (eine Granate wird in einem toten Schaf platziert), das Abfeuern eines Granatwerfers aus einem Propagandafilm von Terroristen. (13)

Zum Schluß im „Epilog“ acht Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Album des Großvaters, zusammen mit dem Wehrpass (in Farbe). Sie sehen ihn in Uniform, beim Kameradenplausch, auf Heimaturlaub oder mit Dackel mit Sonnenbrille. Daneben fünf Soldaten hinter einer Kanone, das Abschreiten der Parade und das Regiment von oben samt Lafetten und Zugpferden. Langweilig, überflüssig, déjà-vue. Bangert schreibt, der Großvater sei bis zu seinem Tod ein unbeirrbarer Nazi gewesen. Als Wehrmachtsarzt müsse er unvorstellbare Dinge gesehen haben. Er habe jedoch den Krieg als Heldenabenteuer hingestellt und – dennoch – von nichts anderem erzählt als von seinem Pferd. Für Bangert ist sein Buch eine Art Versicherung, wenn seine Enkelkinder ihn einmal nach dem Krieg fragen. Dann wird er dieses Buch hervorholen und zeigen, dass er immer auf der Seite der guten, schrecklichen Bilder stand.

„Wäre auch verrückt, wenn es dieses Buch nicht geschafft hätte eine Gold-Auszeichnung zu bekommen.“ (14)

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Anmerkungen

(1) http://www.zeit.de/kultur/2014-06/christoph-bangert-war-porn-interview/seite-2; abgerufen am 17.012.14.

(2) http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/wdr/sendung-18052014-bangert-100.html; abgerufen am 17.12.14.

(3) Der Name des toten Mädchens ist Sarah, der des Gefolterten Haider Hamid. (Angaben nach den Bildegenden in War Porn). Die Friedhöfe erzählen, dass wir weniger in Bildern erinnern und trauern, sondern in Namen. „Es ist in Namen, dass wir denken,“ sagt Hegel.

(4) Z. B. ARD, 3sat, ndr, phoenix, deutschlandradio, Spiegel, facebook, youtube, Zeit, twitter, reservistenverband, vimeo, Berliner Zeitung.

(5) Stand: 17.12.14.

(6) http://www.zeit.de/kultur/2014-06/christoph-bangert-war-porn-interview, abgerufen am 17.12.14.

(7) „Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid,“ besagt Ziffer 11 des Pressekodex des Deutschen Presserats.

(8) http://www.zeit.de/kultur/2014-06/christoph-bangert-war-porn-interview; abgerufen am 17.12.14.

(9) http://www.neues-deutschland.de/artikel/925166.2013-ist-kriegerischstes-jahr-seit-1945.html; abgerufen am 19.12.14. Daten für 2014 liegen noch nicht vor.

(10) Darunter Andrej Stenin, Camille Lepage, Arturo Barajas López,Tim Hetherington, Anja Niedringhaus, Andrea Rocchelli, Chris Hondros oder James Foley.

(11) http://www.welt.de/politik/ausland/article135414206/Die-erschreckende-Lage-der-Pressefreiheit.html; Stand: 16.12.14; abgerufen am 17.12.14.

(12) Mission not accomplished?

(13) Angaben nach den Bildlegenden in War Porn.

(14) http://kwerfeldein.de/2014/11/15/deutscher-fotobuchpreis-2015/; abgerufen am 17.12.14.

 

  • Titel: War Porn

  • Untertitel: 
  • Bildautor: Christoph Bangert
  • Textautor: Christoph Bangert
  • Herausgeber: 
  • Gestalter:  Teun van der Heijden, Chiho Bangert, Klaus Kehrer

  • Verlag: Kehrer
  • Verlagsort: Heidelberg
  • Erscheinungsjahr: 2014 (im Handel ist bereits die zweite Auflage)
  • Sprache: englisch
  • Format: 16 x 12 cm
  • Seitenzahl: 192
  • Bindung: Hardcover mit offenem Rücken
  • Preis: 29,90 Euro
  • ISBN: 978-3-86828-497-3

2 Antworten zu Zur Hölle, wenn Du das nicht abkannst

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