Gut ein Jahr nach dem Tsunami, der das Kernkraftwerk Fukushima schwer beschädigte, erschien ein Buch des japanischen Fotografen Kazuma Obara (* 1985), der schon bald vor Ort war und die Zerstörungen mit der Kamera dokumentierte. Die Ereignisse vom März 2011 zeigten, dass die Natur letztendlich nicht beherrschbar ist und dass die Nutzung der Atomkraft hoch riskant ist. Das Buch ist als Anstoß zum Umdenken konzipiert. Die Flutwelle hinterließ im Gegensatz zur unsichtbaren Gefahr der Radioaktivitäteindrucksvolle, fotografierbare Zerstörungen. Obaras Farbaufnahmen des Chaos an der Küste werden ergänzt durch Schwarzweißfotos von der Anreise nach Fukushima, von dem Kraftwerk und vor allem von Arbeitern, die dort mit dem Aufräumen beschäftigt waren. Der Fotograf machte nicht nur Portraits von ihnen, sondern befragte die Helden auch nach ihrem gefährlichen Job.
Das Buch folgt dem Muster eines Propagandawerks. Am Anfang steht die Bestandsaufnahme: zerstörte Orte und Landschaften. Es folgen ähnliche Motive, aber mit Menschen, die aufräumen, erschüttert sind, Schutzmasken tragen und schließlich evakuiert wurden. Dann ein Abschnitt in Schwarzweiß, grobkörnige Ansichten des Kraftwerks, die Portraits der Arbeiter und Nachrichtenbilder von öffentlichen Sitzungen, in denen die Bürokraten das Unglaubliche zu erklären versuchten. Dann ein wenig Kitsch (Strand, Sonnenauf- oder -untergänge) und schließlich am Ende wieder Leute, wie sie weiterleben und vor allem Kinder. Appellative Zitate auf roten Doppelseiten scheiden die einzelne Kapitel. Denken wir also an die Kinder, an die Zukunft, damit so etwas nicht wieder vorkommt! Schön wäre es, wenn man mit einem Fotobuch eine solche Reaktion hervorrufen könnte. Dieses Buch ist zu gutmütig, zu bemüht, zu wenig leidenschaftlich, zu wenig expressiv, um diesem Ziel nahe zu kommen. Kennt man ein wenig die große Tradition der japanischen Fotografie aus der Provoke-Ära oder zum Thema Hiroshima, wundert man sich über die verschenkte Möglichkeit dieser aufwändigen Publikation.
Subtiler hat Andrej Krementschouk das Thema am Beispiel Tschernobyl behandelt; zu seinem Band aus dem Jahr 2011 erschien noch eine Ergänzung über die leeren Räume in den evakuierten Städten rund um den ukrainischen Reaktor. Sicherlich keine neue Idee, aber im nüchternen, zurückhaltenden Registrieren der surrealen Szenerien – der Betrachter denkt sich seinen Teil! – nicht weniger engagiert als bei Obara. Aber ein „Reset“, ein Zurück, kann es bei Halbwertzeiten von Jahrhunderten nicht geben und es ist zu befürchten, dass die Menschheit durch diese oder ähnliche Katastrophen nicht zur Besinnung kommen wird. Obaras Frage im Untertitel seines Buches lässt sich leider nicht anders beantworten.
- Titel: Reset – Beyond Fukushima
- Untertitel: Will the Nuclear Catastrophe Bring Humanity to Its Senses?
- Bildautor: Kazuma Obara
- Textautor: Kazuma Obara (Vorwort, Interviews), Jun Miyake (Nachwort)
- Herausgeber: Adriano A. Biondo, Lars Müller
- Gestalter: Integral/Lars Müller und Sarah Pia
- Verlag: Lars Müller
- Verlagsort: Zürich
- Erscheinungsjahr: 2012
- Sprache: englisch, japanisch
- Format:
- Seitenzahl: 216
- Bindung: Klappenbroschur
- Preis: 55 Euro
- ISBN: 978-3-03778-292-7
- Titel: Chernobyl Zone (II)
- Untertitel:
- Bildautor: Andrej Krementschouk
- Textautor: Andrej Krementschouk, Esther Ruelfs, Wolfgang Kil
- Herausgeber:
- Gestalter: Loreen Lampe
- Verlag: Kehrer
- Verlagsort: Heidelberg, Berlin
- Erscheinungsjahr: 2011
- Sprache: deutsch, englisch
- Format:
- Seitenzahl: 88
- Bindung: Klappenbroschur
- Preis: 28 Euro
- ISBN: 978-3-86828-210-8
Pingback: Katastrophenberichte | kasseler fotobuchblog